Ein gutes Herz (German Edition)
Kinder zu sichern?
Sie würde einen Brief schicken. Und fragen, ob sie Hilfe gebrauchen konnten. Das war sie Jimmy schuldig.
4
MAX
Bei Einbruch der Dunkelheit war Max Kohn wieder am Strip. Er hatte sowohl am Begräbnis von Janet Davis als auch am darauffolgenden Mittagessen in der Kirche von Father Josephs Gemeinde teilgenommen. Niemand sprach ihn an. Er wusste, dass er keinen sehr zugänglichen Eindruck machte. Man merkte ihm an, dass er nicht gerne Höflichkeiten austauschte. Ein Mann, der niemanden brauchte und niemandem traute.
Jimmy Davis, der Franziskaner, hatte also zwei Kinder gezeugt, und nun lastete auf Max Kohn, einem geläuterten Verbrecher, die Verantwortung für Davis’ Nachkommen. Es war offensichtlich, dass die Schwester und die Mutter des Paters nicht die Mittel für eine angemessene Erziehung hatten. Es gab zwar soziale Hilfsprogramme, doch damit konnte man den beiden Kindern keine geborgene Kindheit bieten. Sie mussten von dort weg. Es gab zwar kein Gesetz, das den Empfänger eines Herzens dazu verpflichtete, die Familie des Organspenders zu unterhalten, aber er fühlte sich dennoch verantwortlich.
Kohns Name hatte auf der langen Liste der Patienten mit schweren Herzerkrankungen gestanden, die ein Spenderherz benötigten, um überleben zu können. Zwei Jahre vor der Transplantation war bei ihm eine Kardiomyopathie festgestellt worden, eine Erkrankung des Herzmuskels, die wahrscheinlich auf einen seltenen Virus zurückzuführen war. Pech für ihn. Aber sein ungesunder Lebensstil hatte wohl auch seinen Teil dazu beigetragen. Von nun an musste er Tabletten schlucken, die Herzrhythmusstörungen vorbeugten. Tabletten zur Blutverdünnung. Tabletten zur Suppression der Nebenwirkungen anderer Tabletten. Das Laufen fiel ihm immer schwerer. Das Fitnesscenter kam für ihn nicht mehr in Frage. Er verkaufte seine Clubs, bevor potentielle Käufer herausfanden, dass seine Verhandlungsposition wegen seiner angegriffenen Gesundheit geschwächt war. Bis er die Nachricht erhielt, dass in Rochester ein Herz verfügbar wurde, hatte sich seine Welt auf sein Apartment reduziert. Sein Herz konnte jederzeit vor Erschöpfung stehenbleiben. Das Einzige, was er noch tat, war Tabletten schlucken, fernsehen und, das Telefon neben sich auf dem Sofa, warten. Er hatte eine Hilfe, die putzte, Einkäufe machte und für ihn kochte. Wenn er von der wöchentlichen Kontrolluntersuchung beim Kardiologen nach Hause zurückkehrte, im Rollstuhl, war er völlig erledigt. Das neue Herz hatte dem ganzen Elend ein Ende gemacht. Ein Franziskaner gab ihm sein Leben wieder. Nein: Er bekam ein zweites Leben geschenkt.
Auch wenn sich die Sonne zurückgezogen hatte, war der Strip immer in helles Licht getaucht. Auf den Terrassen der Restaurants drängten sich junge, geschäftige, coole Yuppies, an Cocktails nippend und »Signature Bread« essend, das in goldenes Olivenöl getunkt wurde. Die Bilder riesiger digitaler Werbetafeln, die Vorankündigungen von Kinofilmen und Fernsehshows streamten und neue Designs in den Filialen der großen Modeketten lancierten, spiegelten sich auf dem glänzenden Lack von Nobelkarossen, in Schaufensterscheiben, Weingläsern und abends als Haarschmuck getragenen Sonnenbrillen. Kohn entschied sich für ein Restaurant, das etwas ruhiger aussah, und bestellte eine Pasta vongole und ein Glas Weißwein. Dann schickte er Father Joseph eine SMS mit der Nachricht, dass er nicht in seinem Hotel, sondern in diesem Restaurant am Strip auf ihn warte.
Beinahe hätte also das eigene Herz Kohn umgebracht. Er hatte harte körperliche Auseinandersetzungen nicht gescheut, sein Leib war von Kugeln aufgerissen worden, er hatte alle Arten von Drogen konsumiert und so gut wie täglich hochprozentigen Alkohol getrunken, da lag es auf der Hand, dass sein Herz in Mitleidenschaft gezogen wurde. Aber die Kardiologen behandelten auch Herzpatienten, die Abstinenzler waren, als brave Buchhalter den lieben langen Tag Quittungen zählten und abends ihre Münzsammlung polierten, bis sie um halb elf friedlich einschlummerten. Kardiomyopathien kamen in der einen Familie häufiger vor als in der anderen und konnten idiopathisch sein, wie Kohns erster Kardiologe es genannt hatte, das heißt, sie hatten keine erkennbare Ursache. Sie konnten aber auch durch übermäßigen Alkohol- und Kokainkonsum ausgelöst werden. Wie bei ihm.
Kohn war mittelgroß, hatte dunkles Haar, das noch nicht seine Farbe verlor, und man sah ihm an, wenn man ein Auge dafür
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