Ein gutes Herz (German Edition)
Architekten aus Venice, Kalifornien, verlassen hatte), aber andererseits wusste sie auch, dass sie es nicht ertragen hätte, wenn er sich auf dem Papier in die Trauer über den Betrug seiner Ex eingekapselt hätte.
Während der ersten Wochen ihres Zusammenseins sprach de Winter häufig von seiner Ex. Als er aber merkte, dass Sonja das irritierte, verkniff er es sich weitestmöglich und behielt die Demütigung, die ihm so zu schaffen machte, für sich. Es gelang ihm, Sonjas Leben mit neuer Energie aufzuladen: Zu sehen, wie de Winter jeden Tag mit unbändiger Neugier anging, wirkte inspirierend. Eine derartige Munterkeit war zwar manchmal auch ermüdend, aber er steckte einfach immer voller Ideen für Artikel, Kolumnen, Filme und revolutionäre Produkte, die die Welt erobern würden. Aus all diesen Projekten wurde zwar meistens nichts, wie sie später feststellte, doch er verwandelte damit jeden noch so verregneten Tag in eine Wundertüte voll sonniger Optionen.
Sie erzählte ihm, dass sie in Indien ein Heim für Esel finanziere. Er sah sie verdutzt an, und ihr entging nicht, dass ihm schon eine sarkastische Bemerkung auf den Lippen lag, bis er merkte, dass es ihr Ernst war. Es gebe fünf solcher Heime, erzählte sie, in Delhi, Ahmedabad, Gwalior, Sikar und Solapur. Rund zwei Millionen Esel arbeiteten in Indien für die Allerärmsten. Sie stellten deren wertvollsten Besitz dar, würden als Arbeits- und Lasttiere aber überbeansprucht und ausgelaugt. Sie seien lebenswichtig für diese armen Familien, doch wenn den Eseln etwas zustoße, könnten sie einen Besuch beim Tierarzt nicht bezahlen. Der Besitz eines Esels sei mindestens so wichtig wie die sogenannten Mikrokredite, erläuterte sie, und de Winter nickte verständnisinnig und schlug begeistert – ob echt oder gespielt, war schwer zu sagen – vor, dass sie darüber ein Buch- oder Filmprojekt machen müssten und er sich gerne mal eines dieser Heime mit ihr ansehen würde. Die meisten Männer hatten sie nur mitleidig angesehen, wenn die Rede auf ihre Esel-Manie kam. De Winter nahm sie ernst.
Es wurde Sommer, und sie hatten tatsächlich so etwas wie eine Beziehung. Als de Winter für zwei Wochen auf Lesereise durch Deutschland musste, merkte Sonja, dass ihr seine Nähe fehlte. Da er nicht anrief, wählte sie nach einer Woche seine Nummer. Es war schon fast Mitternacht. Er nahm ab, war noch in einem Restaurant in Berlin. Sein »Hallo, Sonja!« klang, als wäre sie eine entfernte Bekannte. Dann sagte er: »Ich bin gleich zurück.« Und eine Frau im Hintergrund antwortete: »Ich gehe nicht weg. Nicht, bevor die Sonne aufgeht.« Diese Ergänzung versetzte Sonja einen Stich, und sie merkte, dass sie eifersüchtig war. Eifersüchtig, sie?
»Bist du nicht allein?«
»Ich musste heute Abend in diese Talkshow, und die Moderatorin hat mich zum Essen eingeladen. Wie geht es dir?«
Während sie ihn reden ließ, googelte sie rasch den Namen der Frau. Bekannte deutsche Journalistin. Nicht unattraktiv.
»Du hast mich ja schnell vergessen«, sagte Sonja.
»Nein. Ich denke die ganze Zeit an dich. Aber ich dachte, ich sollte dich vielleicht lieber nicht jeden Tag anrufen. Das ist aufdringlich.«
»Ich mag es aufdringlich«, sagte sie.
»Ich auch.«
»Und welche Dame hast du da gerade am Haken?«
»Den Haken kannst du ruhig weglassen.«
»Wo bist du morgen?«
»München.«
»Wo?«
»Vier Jahreszeiten.«
Sie hatte sofort einen Plan, verriet aber nichts davon. Obwohl es schon spät war, rief sie ihre Hilfe für Nathans Betreuung an. Frühmorgens flog sie nach München. Man ließ sie in das für Leon de Winter reservierte Zimmer, und dort erwartete sie ihn. Gegen Mittag trat er mit einem breiten Grinsen ein.
»An der Rezeption hieß es: ›Ihre Frau ist schon da.‹ Du bist die Einzige, die verrückt genug ist, so was zu machen.«
Sie schlug die Bettdecke weg. Sie war nackt, wie er es sich im Fahrstuhl schon erhofft haben dürfte. Es kostete ihn zehn Sekunden, sich auszuziehen. Anschließend aßen sie zu Mittag, und um fünf Uhr nachmittags flog sie schon wieder zurück. Es schien wahrhaftig so, als sei sie glücklich.
Sonja beschloss, mit Leon nach Amsterdam zurückzukehren, zum ersten Mal seit der großen Katastrophe – als das bezeichnete sie jenes schlimme Jahr, seit sie entdeckt hatte, dass die Palästinenser das Jahr der Staatsgründung Israels, die ihr neuer Freund glühend verteidigte, Nakba, Katastrophe, nannten. Amsterdam war vertraut und übersichtlich. Sie
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