Ein gutes Herz (German Edition)
kurz, als er diese schwammige Formulierung hörte. Daran arbeiten. Also wirklich…
Zur Ablenkung nahm Jimmy ihn mit an den Sunset Strip in Los Angeles. Ein toller Abend dort, lebendig und prall und farbenfroh, die Straßencafés voller Leute, die keinen Gedanken daran verschwendeten, dass das hier alles zeitlich begrenzt war. Jimmy und Theo waren auf ihre Art dort anwesend, ein wenig neidisch und zugleich auch ein wenig wehmütig.
Gemeinsam beobachteten sie Max Kohn, wie er sich Pasta bestellte, an seinem Weißwein nippte, sich zur Begrüßung eines Priesters von seinem Stuhl erhob. Das Gespräch zwischen den beiden entging Theo weitgehend. Er wurde abgelenkt durch all das herrliche, vergebliche Leben, das Flirten, die Hitze in den Blicken, die Gier der Hände, die kurzen Röcke und tiefen Dekolletés.
Theo nahm wahr, dass Kohn und der Priester aufstanden und zusammen den Strip entlangliefen. Er sah, wie Kohn die aggressive Attacke eines Mannes mit wenigen geschmeidigen Bewegungen abblockte. Er sah, wie Kohn dem Wagen des Priesters nachblickte und dann in seinem Hotel mit dem Fahrstuhl zu seinem Zimmer hinauffuhr. Theo rückte näher, als Kohn den Umschlag öffnete und sich Fotos ansah, auf denen Jimmy mit einer Frau abgebildet war.
»Wer ist sie, Jimmy?«, fragte Theo.
»Seine große Liebe.«
»Die Liebe seines Lebens. Wie rührend«, bemerkte Theo zynisch.
»Bitte keinen Zynismus, Theo«, ermahnte ihn Jimmy. »Den akzeptieren wir nicht. Hinter deinem Namen steht jetzt SE .«
»Schutzengel Theo. Gut«, sagte Theo. »Was nun?«
»Das wissen wir nicht. Wir müssen abwarten.«
»War sie auch deine große Liebe, Jimmy?«
»Ich liebe Gott«, erwiderte Jimmy kurz.
»Aber du hattest doch auch Zeit für sie, oder?«
Jimmy wollte nicht antworten, aber Theo ließ nicht locker. »Komm schon, Jimmy, keine falsche Scham. Du kannst es mir ruhig anvertrauen, so unter uns Toten.«
»Na gut, okay, ich war verrückt nach ihr. Meine Sünde war, dass ich wirklich verrückt nach ihr war.«
»Aber du warst für sie nur eine Affäre, stimmt’s? Sie wartete auf Kohn, den Kriminellen, und du durftest nur vorübergehend an sie ran. So war es doch, werter Priester, oder?«
Jimmy schwieg. Sie wurden Zeuge, wie Kohn ein Flugticket nach Amsterdam buchte. Dann zog er sich aus und ging unter die Dusche. Jimmy bedeutete Theo mit einer Kopfbewegung: Komm, wir gehen.
Sie ließen Kohn allein zurück. In seinem Kasernenzimmer trank Theo sich einen an. Am armseligsten, schlimmsten, traurigsten war, dass er sich in dieser Kaserne zu Hause zu fühlen begann, mit oder ohne Körper.
8
MAX
Max Kohn bezog ein Zimmer im Amstel Hotel. Nach einer Dusche ging er gleich in die Stadt. Studenten der jüngsten Generation flitzten auf dem Rad über die Hogesluisbrug in die Utrechtsestraat. Rechts und links exklusive Küchenshops, Restaurants, Boutiquen. Er lief die Keizersgracht hinauf, über die Leidsestraat hinweg, an schmucken Grachtenhäusern und dichten Reihen von Volvos und Mercedes vorüber, und warf einen Blick auf den Prachtbau aus dem siebzehnten Jahrhundert, in dem er selbst gewohnt hatte. Inzwischen wohnte hier seit Jahren ein deutsches Schwulenpaar zur Miete.
Seit gut zehn Jahren hatte Kohn die Niederlande gemieden. Seine Mutter war Anfang der neunziger Jahre gestorben, er hatte keine Geschwister und keine sonstigen nahen Angehörigen.
Die Freundschaften, die er gehabt hatte, waren im Grunde geschäftlicher Natur gewesen – bis auf die zu Kicham. Er hatte mit Geld um sich geworfen und damit Freunde gewonnen, die schnell bereit waren, ihn zu verunglimpfen, als er aus dem Land geworfen wurde und klar war, dass er ihnen nichts mehr bieten konnte. Ein »Hintergrundartikel« über ihn in Vrij Nederland speiste sich aus Quellen, die zwar nicht genannt wurden, für ihn aber erkennbar waren. Sollten sie doch.
In seinem Grachtenpalais waren er und Sonja am 10. September 2001 von Polizisten einer Spezialeinheit aus dem Bett heraus verhaftet worden. Sonja hatte man achtundvierzig Stunden lang festgehalten, ihn selbst zwei Wochen. Zweiunddreißig Stunden nach ihrer Verhaftung flogen Passagierflugzeuge in die Twin Towers. Er hörte erst einen Tag später davon, denn er wurde komplett abgeschirmt, um nicht zu sagen, in Isolationshaft gehalten. Als Bram Moszkowicz ihn nach dreihundertvierzig Stunden aus seiner Zelle holte, war Sonja nicht mehr in Amsterdam. Sie hatte einen geharnischten Brief hinterlassen, dass sie unter keinen Umständen zu
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