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Ein gutes Herz (German Edition)

Ein gutes Herz (German Edition)

Titel: Ein gutes Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon de Winter
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zurückzuführen war, dass sie die gleiche animalische Anziehungskraft verspürte, die ihn neben den höllischen Schmerzen mit jeder Faser erfasst hatte. Man konnte tatsächlich von einem Blick, einer Berührung, noch tiefer getroffen werden als von einer Schusswaffe.
    Das war 1995. Am Tag vor Sinterklaas. Einem wolkenverhangenen Tag, so nasskalt, dass es einem in die Glieder zog. Kohn hatte wüste Konkurrenten bekommen, mit Hilfe seiner Freunde aber noch die Kontrolle über den Handel bewahrt. Bis zu dieser Nacht. Sie lauerten ihm auf. Um halb drei. Er hatte in der Bar des Hilton Hotels getrunken und ließ sich von einem Taxi vor seinem Haus an der Keizersgracht absetzen. Seinen Jaguar hatte er in der Tiefgarage des Hotels stehen lassen. Als er seinen Schlüssel herauszog, wurde er einen Moment von einem metallischen Geräusch abgelenkt. Er drehte sich um, hob reflexartig die linke Hand und wurde ins Handgelenk getroffen. Danach in die Schulter. Er ließ sich fallen und rechnete mit dem Gnadenschuss. Aber nichts geschah. Er wartete. Dann das Geräusch sich schnell entfernender Schritte. Ein Auto fuhr weg. Als er aufschaute, sah er auf der anderen Seite der Gracht einen Streifenwagen, der sich aber entfernte, ohne Blaulicht und Sirene anzumachen. Die Polizisten hatten offenbar nichts mitbekommen und ihn dennoch gerettet: Die Schützen hatten sich durch den Streifenwagen abschrecken lassen.
    Mit der unverletzten Hand wählte er die Nummer seines Kumpels Kicham Ouaziz, der kurz darauf bei ihm war.
    Kohn saß vor seinem Haus auf dem Boden, den Rücken an die Eingangstür gelehnt. Das Grachtenpalais, in dem er das Erdgeschoss bewohnte, eines der breitesten der Straße, hatte keine Außentreppe. Dunkles Blut tropfte aus seinen Schusswunden in Arm und Schulter. Kicham half ihm in seinen Wagen und fuhr ihn in einem Höllentempo zur Uniklinik. Unterwegs erwogen sie noch, ob nicht vielleicht das Onze Lieve Vrouwe Gasthuis besser wäre. Aber Kicham war schon zweimal mit Schussverletzungen in der Uniklinik gewesen und wusste, dass man sich dort strikt an die ärztliche Schweigepflicht hielt und nichts an die Polizei weitergab. Es war Nacht, die Straßen waren wie leergefegt.
    Sie hätten einen Schalldämpfer benutzt, erzählte er Kicham, seinem Verbündeten, seinem Freund, den er Kichie nannte und der gar nicht wie ein typischer Marokkaner aussah. Kichie hätte auch Spanier oder Grieche sein können – was er bestritt: »Ich habe einen echten Berberkopf«, sagte er. Mittelgroß, früh ergraut, immer elegant in Anzug und weißem Oberhemd, eine Brille mit dünnem Goldgestell auf der schmalen Nase, am kleinen Finger einen Ring mit rosafarbenem Diamant. Im Holster an seinem rechten Unterschenkel trug er eine kompakte Handfeuerwaffe.
    »Ich krieg schon raus, wer das auf dem Gewissen hat«, sagte Kichie mit der Überzeugung eines Menschen, der sich das zur Lebensaufgabe gemacht hatte.
    Er half Kohn beim Aussteigen.
    »Fahr nach Hause«, sagte Kohn. »Das wird schon wieder. Ich ruf dich morgen an. Es ist nichts Ernstes.«
    Kohn verlor zwar viel Blut, aber er war sich relativ sicher, dass keine Schlagader getroffen und er nicht lebensgefährlich verletzt war. Er stützte den blutenden linken Arm, der brannte wie Feuer, mit der rechten Hand ab.
    Im Krankenhaus wurde er sofort auf eine Trage gelegt. Eine Frau erschien im Behandlungsraum. Langes braunes Haar, zum Pferdeschwanz zusammengebunden. Intelligentes Gesicht mit dunklen Augen, die Erstaunen und Angst und Faszination ausdrückten. Rauchige Stimme.
    Sie fragte: »Was ist passiert?«
    »Man hat auf mich geschossen.«
    »Mit Kugeln?«
    »Ja. Pfeffernüsse wären mir lieber gewesen.«
    »Pfeffernüsse?«, fragte sie verwirrt.
    »Ja, lieber lasse ich mit Pfeffernüssen auf mich schießen.«
    »Sie müssen sofort in die Chirurgie. Ich werde jetzt die Blutung stillen, dann machen wir ein paar Aufnahmen. Sie bekommen ein Betäubungsmittel.«
    »Gern.«
    »Haben Sie starke Schmerzen?«
    Kohn wollte sagen: Schmerzen vor Begierde. Das Erscheinen dieser Ärztin an seiner Trage, schlank und rank im bläulichen Licht der Neonröhren, die zierlichen Finger in Gummihandschuhen, schlug kaum weniger heftig bei ihm ein als die Kugeln, die ihn getroffen hatten. Es war ein lächerlicher Moment für etwas so Inniges und Umwerfendes – und Kohn verliebte sich nie, das war etwas für Backfische und Milchgesichter. Er war unabhängig, von allem. Keine Angehörigen. Keine Frau. Keine Kinder. Max Kohn

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