Ein gutes Herz (German Edition)
Beim letzten Mal hatte er allerdings seine Brieftasche mitsamt Kreditkarten dort vergessen. Marijke wollte sich an diesem Tag die Proben ihres Bruders ansehen und bei der Gelegenheit die Brieftasche holen und sie im Rathaus bei einem seiner Mitarbeiter hinterlegen. In einem Umschlag, damit niemand Fragen stellte. Cohen hatte Erfahrung mit solchen Dingen.
»Job?«, hörte er Welten wieder.
»Ja!«
»Das Nationalballett, ja.«
»Bis gleich, Bernard.«
Cohen unterbrach die Verbindung und wählte abermals Marijkes Nummer. Van Ast und der Fahrer, Richard Mulder, würden hören können, was er sagte, aber er war darin geübt zu verschleiern, worum es eigentlich ging.
Er ließ das Telefon läuten, bis sich Marijkes Mailbox meldete. Er wählte ihre Nummer in der Universität.
»Sekretariat Professor Hogeveld«, meldete sich eine Frauenstimme.
Die Sekretärin hieß Sandra. Sie war darüber im Bilde, was zwischen dem verheirateten Bürgermeister und der geschiedenen Professorin lief.
»Hier Cohen. Ist die Frau Professor zu sprechen?«
»Nein, Herr Cohen, sie hat noch nichts von sich hören lassen. Ich mache mir schon Sorgen, denn sie wollte zur Stopera.«
»Ja, ich weiß.«
»Sie wollte sich eine Probe ansehen und noch etwas im Apartment ihres Bruders holen.«
Cohens Brieftasche wollte sie holen. Einfach vergessen. Konnte passieren. Aber dumm. Mein Gott, dumm und womöglich fatal. Die Premiere war übermorgen, Cohen war in seiner Funktion als Bürgermeister dazu eingeladen, und der Besuch der Vorstellung war in seinem Terminplan vorgemerkt. Später am Abend wollte er Marijke dann in dem Apartment wiedersehen. Da hätte er die Brieftasche einfach wieder mitnehmen können. Das wäre weit weniger aufwendig gewesen. Wenn er seine Brieftasche nicht vergessen hätte, wäre sie natürlich nicht zu dieser Probe gegangen. Aber so hatte sich alles gut kombinieren lassen: Brieftasche abholen, im Rathaus abgeben, Probe ihres Bruders anschauen. Vielleicht war ihr etwas zugestoßen. Man würde seine Brieftasche finden. Kreditkarten versengt, geschmolzen, hinüber.
»Haben Sie meine Nummer?«
»Ja, Herr Cohen, die hat mir Frau Hogeveld vor einiger Zeit diskret gegeben.«
Damit bestätigte sie dezent, dass sie wusste, dass er wusste, dass sie es wusste. »Diskret«.
»Lassen Sie es mich bitte sofort wissen, wenn Sie etwas von Frau Professor hören«, sagte Cohen. »Vielen Dank.«
Er ließ das Handy in seine Tasche gleiten. Die Polizisten auf den Motorrädern hielten den Haarlemmerweg frei. Die Stadt war zum Stillstand gekommen. Es würde ein Verkehrschaos geben. Katastrophentouristen. Familien in Angst, panisch vor Sorge. Er würde heute Abend ein paar Worte sagen müssen, vielleicht auch schon früher. In einer Stunde oder so.
»Van Ast, wir brauchen eine Presseerklärung.«
»Ich habe schon angerufen. Wir haben vier Autoren zur Verfügung. Und ich habe Leon de Winter eine Nachricht hinterlassen. Er war der Einzige, den ich nicht gleich erreichen konnte«, sagte van Ast.
Leon de Winter hatte Cohen in seinen Kolumnen zwar regelmäßig heruntergemacht, aber van Ast hatte von Ayaan Hirsi Ali gehört – bei einer der seltenen Begegnungen, die noch möglich waren, nachdem sie ein Politstar geworden war –, dass de Winter ihr dann und wann bei der Abfassung von Artikeln und Reden assistierte, und was sie sagte und schrieb, war ja in rhetorischer Hinsicht weiß Gott nicht das Schlechteste, was Politiker in den Niederlanden in den vergangenen Jahrzehnten von sich gegeben hatten. So hatte van Ast de Winter denn vor ein paar Jahren angesprochen. Und ach, wie nett der sich plötzlich über Cohen äußerte – wie die meisten Polemiker feige und scheißfreundlich, wenn sie auf einmal entdecken, dass die Zielscheiben ihrer Verachtung Menschen aus Fleisch und Blut sind, und vor allem, wenn sich die Aussicht auf einen gutbezahlten Auftrag eröffnet. Wenn es theatralisch und dramatisch sein solle, könne sich Cohen gerne an ihn wenden, mailte de Winter damals aus Los Angeles.
Zweimal beauftragte van Ast de Winter daraufhin, eine Rede für Cohen zusammenzubasteln. Und de Winter leistete gute Dienste. Beim dritten Mal aber zeigte sich, dass de Winter ein linker Hund war. Van Ast hatte ihn gebeten, den Van-der-Wielen-Vortrag »aufzupolieren«, den Cohen im März 2010 in Leeuwarden halten sollte. De Winter verlangte siebeneinhalbtausend Euro. Ein aberwitziges Honorar für einen Tag Arbeit. Van Ast ging darauf ein.
Der Titel des
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