Ein gutes Herz (German Edition)
hinüber – hübsches Mädchen, aber noch sehr jung – und murmelte etwas von einem dringenden Anruf.
Die Lehrerin sagte zu der Klasse der Achtjährigen: »Der Herr Bürgermeister muss dringend telefonieren, aber danach kommt er wieder zu uns.«
»Das verspreche ich«, sagte Cohen.
Van Ast trat beiseite, um ihn durchzulassen. Während er seinem Chef auf dem Korridor das Handy reichte, sagte er: »Explosion unter der Stopera. Viele Verletzte. Erhebliche Schäden.«
Cohen starrte ihn einen Moment lang mit offenem Mund an. Kein Hirn kann solche Mitteilungen fassen. Cohen dachte sofort an Terrorismus. An Ärger und Schlamassel. Als Bürgermeister war er auch Dienstherr der Polizei und musste etwas tun. Aber er hatte keine Ahnung, was. Eine Explosion unter der Stopera? Es gab Richtlinien für solche Situationen. Er hatte sie irgendwann mal mit Leuten vom Innenministerium, vom Justizministerium, von Polizeispitze und Rettungsdiensten durchgenommen. Und was noch hinzukam: Als er das Telefonat mit Marijke beendet hatte, war sie gerade in die Tiefgarage unter dem Opernhaus gefahren. Sie sagte: »Vielleicht hab ich gleich kein Netz mehr, Job, ich fahre jetzt rein. Bis später.« Das war vor wenigen Minuten gewesen.
Cohen fühlte sich Bush auf einmal sehr nahe.
Er hielt das Telefon in der Hand, ohne es ans Ohr zu setzen, und fragte: »Ist die Ursache schon bekannt? Terroranschlag?«
Van Ast sagte: »Gasleck.«
Ein Gasleck. Glück im Unglück. Solche Lecks ließen sich mit Kommissionen bewältigen. Aberwitzig, jetzt erleichtert zu sein, aber er fühlte, wie sich sein Herzschlag beruhigte. Gaslecks machten ihm keine Angst, wohl aber Terroranschläge. Und er befürchtete, dass Marijke etwas passiert sein könnte.
Cohen deutete auf das Telefon, und van Ast begriff, dass er wissen wollte, wer dran war.
»Der Polizeipräsident«, sagte van Ast leise.
Van Ast war um die dreißig, hager und hatte aschgraues Haar, ein Workaholic, der bei Cohen seine Feuerprobe machte, um zu gegebener Zeit bei einem multinationalen Unternehmen für mehrere Hunderttausend im Jahr den Corporate Communications Desk zu leiten. Van Ast sah blass aus – schon seit Wochen. Seine Frau hatte vor vier Monaten Zwillinge bekommen.
Der Bürgermeister drückte das Handy an sein Ohr und sagte: »Cohen.«
»Welten.«
»Wie schlimm ist es, Bernard?«
»Ein Trümmerhaufen. Die ganze Vorderfront ist weggebrochen, ein großer Teil des Eingangsbereichs und ein Teil des Opernsaals sind hin. Es brennt wie verrückt. Wir haben noch keinen Überblick über die Zahl der Verletzten, aber es sind viele. Dutzende. Von Toten weiß ich noch nichts. Es ist in der Tiefgarage passiert.«
»Und das Rathaus?«
»Wird jetzt geräumt. Steht noch, aber durch die Detonation und die Druckwelle sind alle Fensterscheiben kaputtgegangen. Viele Leute mit Schnittwunden dort. Das Feuer hat noch nicht aufs Rathaus übergegriffen. Wir sind mit allem vor Ort, was uns zur Verfügung steht, alle sind auf den Beinen. Auch umliegende Gebäude sind in Mitleidenschaft gezogen worden. Wir haben die Wibaut abgesperrt, für die Krankenwagen vom und zum OLVG . Dort hat man sämtliche Leute für Notoperationen zusammengetrommelt. Wir werden das ganze Viertel absperren und von Haus zu Haus gehen, um zu sehen, wer noch alles durch herumfliegende Glassplitter verletzt wurde. Wir haben keine Ahnung, wie viele Menschen womöglich noch unter den Trümmern liegen. Ein Riesenschlamassel, Job.«
»Schaffen wir es mit den Leuten und der Ausrüstung, die wir haben?«
»Ich habe noch keinen Überblick. Es ist ein wahnsinniges Chaos.«
»Können wir das Rathaus als Schaltzentrale benutzen?«
»Dort geht gar nichts mehr. Es gibt Probleme mit der Stromversorgung und den Kommunikationsverbindungen, und wir wissen nicht, wie es mit den Gasleitungen aussieht, vielleicht gibt es weitere Bruchstellen. Wir kommen im Präsidium zusammen.«
»Es war doch wirklich Gas, oder, Bernard?«
»Sieht so aus, ja.«
»Du kannst es also nicht mit Sicherheit sagen?«
»Irgendwer von Liander hat angerufen, dass geräumt werden soll. Sie hätten ein Gasleck festgestellt. Befürchtest du etwas anderes, Job?«
»Was glaubst du?«
»Es sieht wirklich nach einer Gasexplosion wegen eines Lecks aus.«
»Gut. Ich bin schon auf dem Weg.«
Er musste der netten Lehrerin sagen, dass er nicht wiederkommen würde, aber van Ast war in Entschuldigungen geübt und bot sich sofort als Überbringer der enttäuschenden Nachricht
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