Ein Hauch von Schnee und Asche
wunderbares Mädchen, nicht wahr? Und ich fürchte, sie hat dieselben Vorstellungen von ehelichem Gehorsam wie du. Andererseits«, fügte er hinzu und schwang sich den Strick mit dem Korb über die Schulter, »weiß man nie, was in einer Ehe vor sich geht, nicht wahr? Vielleicht würde es ihr ja gefallen, wenn er es versuchte.«
»Gefallen?!« Ich starrte ihn erstaunt an. »Wie kannst du nur glauben, dass eine Frau es je -«
»Oh, aye? Was ist denn mit meiner Schwester?«
Ich erstarrte mitten auf dem Weg und gaffte ihn an.
»Was ist mit deiner Schwester? Du willst mir doch nicht erzählen -«
»Doch.« Da war das Glitzern wieder, doch ich hatte nicht das Gefühl, dass er Witze machte.
»Ian hat sie geschlagen ?«
»Ich wünschte, du würdest aufhören, es so zu nennen«, sagte er nachsichtig.
»Es klingt ja so, als wäre Ian mit den Fäusten auf sie losgegangen, oder als hätte er ihr blaue Augen verpasst. Ich habe dir ordentlich das Fell gegerbt, aber ich habe dich doch in Gottes Namen nicht blutig geschlagen.« Sein Blick huschte zu meinem Gesicht; es war alles verheilt, zumindest äußerlich; die einzige Spur war eine winzige Narbe in der Augenbraue – unsichtbar, es sei denn, man teilte die Haare dort und sah genau hin. »Und Ian würde das auch nicht tun.«
Es verblüffte mich total, das zu hören. Ich hatte mehrere Monate mit Ian und Jenny Murray unter einem Dach gewohnt, und nichts hatte je darauf hingedeutet, dass er einen Hang zur Brutalität hatte. Außerdem war es unmöglich, sich vorzustellen, dass jemand so etwas mit Jenny Murray probierte, denn sie hatte einen noch ausgeprägteren Charakter als ihr Bruder – falls so etwas überhaupt möglich war.
»Nun, was hat er denn getan? Und warum?«
»Nun, er hat nur dann und wann zu seinem Gürtel gegriffen«, sagte er, »und nur, wenn sie ihn dazu gebracht hat.«
Ich holte tief Luft.
»Wenn sie ihn dazu gebracht hat?«, fragte ich verhältnismäßig ruhig.
»Nun, du kennst doch Ian«, sagte er achselzuckend. »Er ist kein Mensch, der so etwas täte, es sei denn, Jenny provozierte ihn dazu.«
»So etwas ist mir nie aufgefallen«, sagte ich und musterte ihn streng.
»Nun, sie hätte es wohl kaum vor deiner Nase getan, oder?«
»Vor deiner aber schon?«
»Nun, nicht direkt, nein«, gab er zu. »Aber ich war nach Culloden nicht mehr oft im Haus. Dann und wann habe ich sie aber besucht und konnte sehen, dass sie… es auf etwas anlegte.« Er rieb sich die Nase und blinzelte in die Sonne, während er nach Worten suchte.
»Sie hat ihn verrückt gemacht«, sagte er schließlich achselzuckend. »Ihn wegen nichts beschimpft, kleine sarkastische Bemerkungen gemacht. Sie hat sich -« Sein Gesicht entspannte sich ein wenig, als ihm jetzt eine passende Beschreibung einfiel. »Sie hat sich aufgeführt wie ein verwöhntes kleines Mädchen, das reif war für eine Tracht Prügel.«
Ich fand diese Beschreibung absolut unglaublich. Jenny Murray hatte eine scharfe Zunge und kaum Hemmungen, sie zu benutzen, ganz gleich, gegenüber wem, einschließlich ihres Mannes. Ian, der Inbegriff der Gutmütigkeit, lachte nur über sie. Aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass sie sich so benahm, wie Jamie es beschrieb.
»Nun gut. Wie gesagt, ich hatte das schon ein paar Mal beobachtet. Und Ian hat sie dann scharf angesehen, jedoch geschwiegen. Aber dann war ich einmal kurz vor Sonnenuntergang auf der Jagd und habe auf dem Hügel gleich hinter dem Turm ein kleines Reh erlegt – du weißt, wo?«
Ich nickte, immer noch verblüfft.
»Es war so nah, dass ich das Reh ohne Hilfe zum Haus tragen konnte,
also habe ich es zum Räucherschuppen gebracht und aufgehängt. Es war niemand da – ich habe später herausgefunden, dass die Kinder zusammen mit den Dienstboten nach Broch Mhorda zum Markt gegangen waren. Also dachte ich, das Haus wäre ganz leer, und bin in die Küche gegangen, um einen Bissen zu essen und mir einen Becher Buttermilch zu nehmen, bevor ich wieder ging.«
Da er davon ausging, dass das Haus leer war, war er erschrocken, als er oben im Schlafzimmer Geräusche hörte.
»Was denn für Geräusche?«, fragte ich fasziniert.
»Nun … Geschrei«, sagte er achselzuckend. »Und Gekicher. Schubsen und Rumpeln, und dann ist ein Hocker oder so etwas umgekippt. Wären sie nicht so albern gewesen, hätte ich gedacht, es wären Diebe im Haus. Aber ich wusste, dass es Jennys Stimme war und Ians und -« Er brach ab, und seine Ohren wurden rot bei der Erinnerung
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