Ein Hauch von Schnee und Asche
für mich«, sagte sie, jedoch vorsichtig. »Warum…?«
»Nun ja, weißt du – die Kahnyen’kehaka legen großen Wert auf Träume. Sogar noch mehr als Highlander.« Er sah mit einem kurzen Lächeln auf und senkte den Blick dann wieder auf die Asche, die er über die letzten Süßkartoffeln häufte. »Was hast du denn letzte Nacht geträumt?«
»Vögel«, sagte sie und versuchte, sich den Traum ins Gedächtnis zu rufen. »Jede Menge Vögel.« Verständlich, dachte sie. Der ganze Wald war schon vor der Dämmerung vom Gesang der Vögel erfüllt gewesen; es war nur natürlich, dass dieser seinen Weg in ihre Träume fand.
»Aye?« Das schien Ian zu interessieren. »Waren die Vögel denn lebendig?«
»Ja«, sagte sie verwundert. »Warum?«
Er nickte und griff nach einer Kastanie, um ihr zu helfen.
»Von lebenden Vögeln zu träumen, ist gut, vor allem wenn sie singen. Tote Vögel in einem Traum sind schlecht.«
»Sie sind definitiv lebendig gewesen und haben gesungen«, versicherte sie ihm mit einem Blick auf den Ast über ihnen, auf dem ein Vogel mit einer leuchtend gelben Brust und schwarzen Flügeln gelandet war und ihre Frühstücksvorbereitungen mit Interesse beäugte.
»Hat einer davon mit dir geredet?«
Sie blinzelte ihn an, aber er meinte es eindeutig ernst. Und warum, dachte sie, sollte ein Vogel auch nicht mit mir sprechen, in einem Traum?
Doch sie schüttelte den Kopf.
»Nein. Sie haben – oh.« Sie lachte, als ihr unerwartet die Erinnerung kam. »Sie haben ein Nest aus Toilettenpapier gebaut. Ich träume dauernd von Toilettenpapier. Das ist dünnes, weiches Papier, das man benutzt, um sich den, äh, Hintern abzuwischen«, erklärte sie angesichts seiner verständnislosen Miene.
»Man wischt sich den Arsch mit Papier ab?« Er starrte sie an, und vor Entsetzen stand ihm der Mund offen. »Du lieber Himmel, Brianna!«
»Nun ja.« Sie rieb sich die Nase und gab sich alle Mühe, nicht über seine Miene zu lachen. Er hatte allen Grund, entsetzt zu sein; in den Kolonien gab es keine Papiermühlen, und abgesehen von den winzigen Mengen handgeschöpften Papiers, wie sie es auch selbst herstellte, musste jedes einzelne Blatt aus England importiert werden. Papier war ein Schatz, den man hütete; ihr Vater, der oft an seine Schwester in Schottland schrieb, schrieb seine Briefe ganz normal – doch dann drehte er das Papier auf die Seite und
schrieb lotrecht noch weitere Zeilen, um Platz zu sparen. Kein Wunder, dass Ian schockiert war!
»Es ist dann ganz billig«, versicherte sie ihm. »Wirklich.«
»Bestimmt nicht so billig wie ein Maiskolben, darauf wette ich«, sagte er und kniff argwöhnisch die Augen zu.
»Glaube es oder nicht, aber die meisten Menschen haben dann keine Maisfelder mehr zur Hand«, sagte sie nach wie vor belustigt. »Und eins sage ich dir, Ian – Toilettenpapier ist viel angenehmer als ein trockener Maiskolben.«
»›Angenehmer‹«, brummte er, offenbar immer noch zutiefst erschüttert. »Angenehmer. Jesus, Maria und Josef.«
»Du hattest mich nach meinen Träumen gefragt«, erinnerte sie ihn. »Hast du letzte Nacht geträumt?«
»Oh. Äh … Nein.« Er riss seine Aufmerksamkeit unter Schwierigkeiten von der skandalösen Idee des Toilettenpapiers los. »Oder wenn ich geträumt habe, kann ich mich zumindest nicht mehr daran erinnern.«
Plötzlich kam ihr beim Anblick seines ausgehöhlten Gesichts der Gedanke, dass einer der Gründe für seine Schlaflosigkeit möglicherweise die Tatsache war, dass er Angst vor den Träumen hatte, die ihn eventuell heimsuchen würden.
Er schien sogar jetzt noch Angst zu haben, dass sie ihn mit diesem Thema bedrängen würde. Ohne sie anzusehen, griff er nach der leeren Bierflasche und rief mit einem Schnalzen der Zunge nach Rollo, der ihm folgte, die Kiefer mit blaugrauen Federn verklebt.
Sie hatte die letzten Kastanien eingeritzt und die glänzenden Maroni mit den Kartoffeln zum Backen in der Asche vergraben, als er zurückkam.
»Genau rechtzeitig«, rief sie, als sie ihn entdeckte. »Die Kartoffeln sind fertig.«
»Gerade rechtzeitig, in der Tat«, antwortete er lächelnd. »Siehst du, was ich hier habe?«
Was er da hatte, war ein Stück einer Bienenwabe, die er aus einem Baum gestohlen hatte und die noch so kühl war, dass der Honig dickflüssig und langsam daran hinunterrann und in herrlichen Tropfen aus süßem Gold auf die Kartoffeln tropfte. Mit geschälten, süßen Kastanien garniert und mit kaltem Quellwasser hinuntergespült, war es
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