Ein Hauch von Schnee und Asche
Augenbraue an.
»Meine ich, sie hätten es mir sagen sollen? Ja. Und nein«, räumte sie widerstrebend ein. Sie griff nach dem Hemd und zog es sich über den Kopf. »Ich meine – ich verstehe, warum sie es nicht getan haben. Erst einmal hat Papa es gar nicht geglaubt. Und was er geglaubt hat … na ja, was immer es war, er hat Mama gebeten, mich in dem Glauben zu lassen, er wäre mein richtiger Vater. Sie hat ihm ihr Wort gegeben; ich denke nicht, dass sie es hätte brechen sollen, nein.« Soweit sie wusste, hatte ihre Mutter ihr Wort nur ein einziges Mal gebrochen – unfreiwillig, aber mit bahnbrechenden Folgen.
Sie strich den Leinenstoff über ihrem Körper glatt und fischte nach den Enden der Schnur, die den Halsausschnitt zusammenzog. Sie war jetzt bedeckt, fühlte sich aber immer noch so entblößt, als sei sie nackt. Roger saß auf der Matratze und schüttelte systematisch die Decken aus, doch seine grünen Augen waren nach wie vor fragend auf sie gerichtet.
»Trotzdem war es gelogen«, platzte sie heraus. »Ich hatte ein Recht, es zu erfahren!«
Er nickte langsam.
»Mmpfm.« Er ergriff das zusammengedrehte Bettlaken und begann es auszurollen. »Aye, na ja. Ich kann mir vorstellen, dass man einem Kind erzählt, dass es adoptiert oder dass sein Vater im Gefängnis ist. Aber das hier ist doch eher so, als wollte man dem Kind erzählen, dass sein Vater seine Mutter ermordet hat, als er sie dabei erwischt hat, wie sie es in der Küche mit dem Briefträger und sechs guten Freunden getrieben hat. Vielleicht bedeutet es ihm nicht viel, wenn man es ihm früh erzählt – aber wenn es anfängt, seinen Freunden davon zu erzählen, sind ihm offene Ohren sicher.«
Sie biss sich auf die Lippe und fühlte sich unerwartet mürrisch und gereizt.
Sie hatte nicht gedacht, dass ihre Gefühle immer noch so dicht unter der Oberfläche lauerten. Und es gefiel ihr gar nicht, dass es so war – und dass Roger es sehen konnte.
»Tja … ja.« Sie blickte zur Wiege hinüber. Jem hatte sich bewegt; er hatte sich jetzt zusammengerollt wie ein Igel, das Gesicht an die Knie gepresst, und das Einzige, was von ihm zu sehen war, war sein Po, der unter seinem Nachthemd über den Rand der Wiege ragte wie der aufgehende Mond am Horizont. »Du hast Recht. Wir müssen warten, bis er alt genug ist, um zu begreifen, dass er es niemandem erzählen darf; dass es ein Geheimnis ist.«
Das Lederband purzelte aus einer Bettdecke. Roger bückte sich, um es aufzuheben, und das dunkle Haar fiel ihm rings um sein Gesicht.
»Würdest du Jemmy eines Tages erzählen wollen, dass ich nicht sein richtiger Vater bin?«, fragte er leise, ohne sie anzusehen.
»Roger!« All ihre Gereiztheit verschwand in einer Flut aus Panik. »Das würde ich in hundert Millionen Jahren nicht tun! Selbst wenn ich es glauben würde«, fügte sie hastig hinzu, »und das tue ich nicht. Roger, ich glaube es nicht! Ich weiß, dass du sein Vater bist.« Sie setzte sich neben ihn und fasste drängend seinen Arm. Er lächelte ein wenig schief und tätschelte ihre Hand – aber er wich ihrem Blick aus. Er wartete einen Moment, dann löste er sich von ihr, um sich die Haare zusammenzubinden.
»Aber was du gesagt hast. Hat er nicht das Recht zu erfahren, wer er ist?«
»Das ist doch nicht – das ist etwas anderes.« Das stimmte – und auch wieder nicht. Der Akt, aus dem ihre eigene Empfängnis resultiert war, war keine Vergewaltigung gewesen – aber er war nicht weniger unbeabsichtigt gewesen. Andererseits hatte es keinen Zweifel gegeben: Ihre Eltern hatten beide – nun ja, alle drei – ohne jeden Zweifel gewusst, dass sie Jamie Frasers Kind war.
Bei Jem … sie sah erneut zur Wiege hinüber und wünschte sich instinktiv, einen Stempel zu finden, einen unleugbaren Hinweis darauf, wer sein Vater war. Doch er sah genauso aus wie sie und ihr Vater, was sein Gesicht und seine Haut- und Haarfarbe anging. Er war groß für sein Alter, seine Gliedmaßen lang, sein Rücken breit – aber das galt ebenfalls für beide der Männer, die ihn gezeugt haben konnten. Und beide, zum Teufel mit ihnen, hatten grüne Augen.
»Das sage ich ihm nicht«, sagte sie entschlossen. »Niemals, und du auch nicht. Du bist sein Vater auf jede Weise, die zählt. Und es gibt keinen vernünftigen Grund für ihn zu erfahren, dass Stephen Bonnet auch nur existiert.«
»Abgesehen von der Tatsache, dass er existiert«, sagte Roger. »Und dass er glaubt, der Junge ist von ihm. Was, wenn sie sich eines Tages
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