Ein Hauch von Schnee und Asche
jemand folgte, doch gestern Abend hatten sie auf freiem Feld kampiert, wo es keinerlei Deckung gab.
Langsam, jedoch nicht um Verstohlenheit bemüht, erhob er sich, deckte Claire mit seinem Umhang zu und trat in den Wald, als folgte er dem Ruf der Natur.
Der Mond war fahl und bucklig, und unter den Bäumen gab es nur wenig Licht. Er schloss die Augen, um die Reflexionen des Feuers auszublenden, dann öffnete er sie wieder für die dunkle Welt, jenen Ort der Schatten, die keine Dimension hatten, wo die Luft voller Geister war.
Doch es war kein Geist, der hinter dem verschwommenen Stamm einer Kiefer hervortrat.
»Heiliger Michael, hilf«, sagte er leise.
»Mögen die Heerscharen der Engel und Erzengel mit dir sein, Onkel Jamie«, sagte Ian genauso leise. »Obwohl ich den Eindruck habe, dass du die Macht und die Herrlichkeit ebenfalls gut brauchen könntest.«
»Nun, ich hätte nichts dagegen, wenn sich die göttliche Fügung zum Eingreifen entschließen würde«, sagte Jamie, der sich durch die Anwesenheit seines Neffen erstaunlich ermutigt fühlte. »Ich habe jedenfalls keine Ahnung, wie wir dieser törichten Verwicklung sonst entkommen sollen.«
Ian grunzte; er sah, wie sein Neffe den Kopf wandte, um einen prüfenden Blick in Richtung des schwach leuchtenden Lagers zu werfen. Ohne es abzusprechen, bewegten sie sich tiefer in den Wald hinein.
»Ich kann mich nicht lange vom Lager entfernen, ohne dass sie mir nachsetzen«, sagte er. »Erst einmal – wie stehen die Dinge in Fraser’s Ridge?«
Ian zog eine Schulter hoch.
»Es gibt Gerede«, sagte er, und sein Tonfall deutete darauf hin, dass »Gerede«
alles umfasste – von Altweibermärchen bis hin zu jener Art von Beleidigungen, für die es nur mit Gewalt Genugtuung geben konnte. »Aber es hat noch keine Toten gegeben. Was soll ich tun, Onkel Jamie?«
»Richard Brown. Er hat angefangen nachzudenken, und nur Gott weiß, wohin das führt.«
»Er denkt zu viel; solch Mann wird zur Gefahr«, sagte Ian und lachte. Jamie, der noch nie mitbekommen hatte, dass sein Neffe freiwillig ein Buch las, warf ihm einen ungläubigen Blick zu, verkniff sich aber in Anbetracht der drängenden Situation jede Frage.
»Aye, so ist es«, sagte er trocken. »Er hat die Geschichte unterwegs in Kneipen und Wirtshäusern herumerzählt – wohl um die öffentliche Entrüstung so weit zu treiben, dass sich irgendein törichter Constabler dazu bewegen lässt, uns ihm abzunehmen; oder besser noch, dass sich ein Pöbel zusammenrottet, um uns zu ergreifen, und uns auf der Stelle hängt, womit sein Problem gelöst wäre.«
»Oh, aye? Nun, wenn er das vorhat, Onkel Jamie, dann hat er Erfolg. Du würdest nicht glauben, was ich für Dinge gehört habe, als ich euch gefolgt bin.«
»Ich weiß.« Jamie reckte sich vorsichtig, um seinen schmerzenden Rippen Erleichterung zu verschaffen. Es war nur der Gnade Gottes zu verdanken, dass es nicht schlimmer gekommen war – und Claires Wutausbruch, der den Angriff unterbrochen hatte, weil alles innegehalten hatte, um sich das faszinierende Spektakel anzusehen, wie sie den Angreifer wie ein Bündel Flachs weich prügelte.
»Doch er hat begriffen, dass man beiseite treten sollte, nachdem man jemandem eine Zielscheibe angeheftet hat. Wie gesagt, er denkt nach. Sollte er sich also entfernen oder jemand anderen schicken…«
»Dann folge ich ihm, aye, und finde heraus, was zu tun ist.«
Er spürte Ians Kopfnicken mehr, als dass er es sah; sie standen mitten im Schatten, und der schwache Schimmer des Mondlichts lag wie Nebel in den Zwischenräumen der Bäume. Dann bewegte sich Ian, als wollte er aufbrechen, zögerte jedoch.
»Bist du sicher, Onkel Jamie, dass es nicht besser wäre, noch etwas zu warten und euch dann davonzuschleichen? Es gibt hier zwar keinen Farn, aber die Hügel bieten reichlich Deckung; bis zur Dämmerung könnten wir sicher versteckt sein.«
Die Versuchung war groß. Er spürte den Sog des dunklen, wilden Waldes über allem anderen, den Ruf der Freiheit. Wenn er doch einfach nur in die Bäume spazieren und dort bleiben könnte… Doch er schüttelte den Kopf.
»Es würde nichts nützen, Ian«, sagte er mit unverhohlenem Bedauern in der Stimme. »Dann wären wir Flüchtlinge – und es würde mit Sicherheit eine Belohnung auf uns ausgesetzt. Und das, wo die ganze Gegend ohnehin gegen uns aufgebracht ist – durch Hassreden und Flugblätter? Die Öffentlichkeit
würde Brown seine Arbeit sofort abnehmen. Außerdem würde es wie ein
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