Ein Hauch von Schnee und Asche
Spannkraft im Griff seiner Finger.
»Mein Leben lang habe ich gewartet, gesucht...« Er machte eine vage Bewegung mit der freien Hand, dann schloss er seine Finger, als wollte er den Gedanken fassen, und fuhr bestimmter fort. »Nein. Gehofft. Gehofft auf etwas, das ich nicht benennen konnte, wovon ich aber wusste, dass es existieren musste.«
Er sah mir suchend ins Gesicht, als prägte er sich meine Züge ein. Die Art, wie er mich betrachtete, war mir unangenehm, und ich hob die Hand, wohl, um mir das wilde Haar glatt zu streichen – doch zu meiner Überraschung fing er meine Hand ab und hielt sie fest.
»Nicht«, sagte er.
Da er mich an beiden Händen hielt, blieb mir keine Wahl.
»Thomas«, sagte ich unsicher. »Mr. Christie...«
»Ich kam zu der Überzeugung, dass es Gott war, den ich suchte. Vielleicht war es ja so. Doch Gott ist nicht aus Fleisch und Blut, und von Gottes Liebe allein konnte ich nicht leben. Ich habe mein Geständnis niedergeschrieben.« Er ließ mich los und schob die Hand in seine Tasche, suchte darin herum und zog ein zusammengefaltetes Stück Papier hervor, das er fest in seinen kurzen, kräftigen Fingern hielt.
»Ich habe hier geschworen, dass ich es war, der meine Tochter umgebracht hat, um der Schande willen, die sie mit ihrer Liederlichkeit über mich gebracht hat.« Seine Stimme klang selbstsicher, doch ich konnte seine Kehle über der zerknitterten Halsbinde arbeiten sehen.
»Aber Ihr seid es doch nicht gewesen«, sagte ich überzeugt. »Ich weiß, dass Ihr es nicht gewesen seid.«
Er blinzelte mich verdutzt an.
»Nein«, sagte er völlig nüchtern. »Aber ich hätte es tun sollen.«
»Ich habe eine Kopie dieses Geständnisses angefertigt«, sagte er und steckte das Dokument wieder in seinen Rock zurück, »und sie der Zeitung in New Bern zukommen lassen. Sie werden es abdrucken. Der Gouverneur wird es akzeptieren – was bleibt ihm anderes übrig? -, und Ihr werdet frei sein.«
Die letzten vier Worte betäubten mich. Er hielt mich nach wie vor an der rechten Hand; sein Daumen strich sanft über meine Fingerknöchel. Ich wäre gern zurückgewichen, zwang mich aber stillzuhalten, beschworen durch seine Augen, die jetzt klar und grau und nackt waren, unverstellt.
»Ich habe mich immer danach gesehnt«, sagte er leise, »zu lieben und geliebt zu werden; habe mein Leben damit zugebracht, jene zu lieben, die es nicht wert waren. Gestattet mir dies; mein Leben zu geben für jemand, der es wert ist.«
Ich fühlte mich, als hätte es mir den Atem verschlagen. Ich bekam keine Luft, doch ich rang nach Worten.
»Mr. Chr – Tom«, sagte ich. »Das dürft Ihr nicht tun. Euer Leben ist – ist kostbar. Ihr könnt es doch nicht einfach so wegwerfen!«
Er nickte geduldig.
»Das weiß ich. Wenn es nicht so wäre, wäre meine Tat ja wertlos.«
Schritte kamen die Treppe herauf, und ich hörte unten die Stimme des Gouverneurs, der sich fröhlich mit dem Hauptmann der Marinesoldaten unterhielt.
»Thomas! Tut das nicht!«
Er sah mich einfach nur an und lächelte – hatte ich ihn schon jemals lächeln sehen? -, blieb aber stumm. Er hob meine Hand und beugte sich darüber; ich spürte seine Bartstoppeln und die Wärme seines Atems, die Sanftheit seiner Lippen.
»Ich bin Euer Diener, Madam«, sagte er ganz leise. Er drückte meine Hand und ließ sie los, dann wandte er sich ab und blickte zum Ufer. Ein kleines Boot näherte sich, dunkel vor dem Hintergrund der glitzernden Silbersee. »Euer Mann kommt Euch holen. Adieu , Mrs. Fraser.«
Er machte kehrt und schritt davon, aufrecht trotz der Dünung, die sich unter uns hob und senkte.
ELFTER TEIL
DIE ZEIT DER RACHE
98
Ein Geist lässt sich nicht fern halten
Jamie stöhnte, räkelte sich und ließ sich im Sitzen auf das Bett plumpsen.
»Ich fühle mich, als wäre mir jemand auf den Sack getreten.«
»Oh?« Ich öffnete ein Auge, um ihm einen Blick zuzuwerfen. »Wer denn?«
Er sah mich mit blutunterlaufenen Augen an.
»Ich weiß es nicht, aber es fühlt sich so an, als wäre es jemand Schweres gewesen.«
»Leg dich hin«, sagte ich und gähnte. »Wir brauchen noch nicht aufzubrechen; du kannst dich noch etwas ausruhen.«
Er schüttelte den Kopf.
»Nein, ich möchte nach Hause. Wir sind sowieso schon viel zu lange fort.« Trotzdem stand er nicht auf, um sich fertig anzuziehen, sondern blieb weiter im Hemd auf dem durchhängenden Wirtshausbett sitzen und ließ die Hände untätig zwischen den Oberschenkeln liegen.
Obwohl er
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