Ein Hauch von Seide - Roman
»Keine Angst, die verdirbt dich nicht und verwandelt dich auch nicht in eine Sexbesessene. Mein Gott, das wäre der Tag, an dem irgendetwas oder irgendjemand so etwas mit Ambers kleinem Schatz anstellen würde.«
Emerald von ihrer besten – und ihrer schlechtesten – Seite.
Rose setzte sich aufs Bett. Die vergangene Nacht war in gewisser Weise fast genauso verrückt gewesen wie die Nacht, in der Pete ihren Kaffee mit Speed versetzt hatte. Wenn jemand ihr gesagt hätte, sie würde je in eine Situation kommen, in der sie das Bedürfnis hätte, Emerald zu beschützen, hätte sie ihn für verrückt erklärt. Und doch war in der vergangenen Nacht … Vor ihrem geistigen Auge stand immer noch das Bild, wie Emerald mit Tränen in den Augen ihre Jacke umklammert hatte. Ohne zu schauspielern oder jemanden manipulieren zu wollen, sondern tatsächlich am Weinen, weil sie Angst hatte und sich einsam fühlte.
Eine halbe Stunde später war Rose geduscht und angezogen und klopfte an Emeralds Tür. Als sie keine Antwort bekam, drehte sie den Knauf und öffnete sie.
Sie war davon ausgegangen, dass Emerald schlafen würde, doch die war wach und saß aufrecht im Bett. Sie hatte schlechte Laune.
»Ich gehe runter, um mir eine Tasse Tee zu machen«, sagte Rose. »Willst du auch eine?«
»Nein … ja … Rose, geh noch nicht. Ich würde dir gern noch etwas sagen.«
Will sie sich noch einmal bei mir bedanken?, überlegte Rose. Dann müsste ich den heutigen Tag im Kalender rot anstreichen.
»Du musst mir versprechen, niemals jemandem von letzter Nacht zu erzählen, niemandem, ganz besonders nicht Mummy. Ich weiß, dass du ihr Liebling bist, Rose, und dass du mir deswegen letzte Nacht beigestanden hast.«
Rose runzelte die Stirn. Sie würde nicht mit Emerald darüber streiten, wer Ambers Liebling war – das hatte keinen Sinn –, aber eines musste sie doch klarstellen.
»Ich habe das nicht für Tante Amber getan.«
»Für wen denn sonst? Für mich gewiss nicht.«
»Für mich«, erklärte Rose ihr, und plötzlich wusste sie, dass es die Wahrheit war. Ein wunderbares Gefühl der Stärke und Kraft durchflutete sie. Sie hatte getan, was sie für richtig hielt, nicht aus Angst oder damit jemand ihr dankbar war, sondern weil es richtig gewesen war.
Sie wandte sich wieder der Tür zu.
»Rose«, hielt Emerald sie auf, »du hast es mir noch nicht versprochen.«
Rose sah sie an und wollte schon sagen, sie habe nicht vor, es jemandem zu erzählen, doch dann überlegte sie rasch.
»Das verspreche ich dir nur, Emerald, wenn du mir versprichst, von jetzt an einen weiten Bogen um Max Preston zu machen.«
Emerald schauderte. »Bist du verrückt? Glaubst du wirklich, nach gestern Abend wollte ich mit dem noch was zu tun haben?«
»Das ist nicht die Antwort, die ich hören wollte«, erklärte Rose ihr entschlossen.
Emerald hätte am liebsten gelacht, doch ihre Rippen und ihr Gesicht taten ihr zu weh. Glaubte Rose wirklich, nach diesem Erlebnis wollte sie noch etwas mit Max zu tun haben? Emerald wollte ihn nie wiedersehen. Die Worte, die er ihr um die Ohren gehauen hatte, sowie die Schläge, die er ihr verpasst hatte, hatten etwas Rohes und Schmerzliches in ihr berührt: die Verletzlichkeit, die daher stammte, dass sie wusste, wer ihr leiblicher Vater war und was aus ihr hätte werden können, wenn Lord Robert sie nicht als seine Tochter angenommen hätte.
Nein, sie wollte Max nie wiedersehen, denn der Schmerz ihrer eigenen Verletzlichkeit war ihr unerträglich.
»Ich verspreche es«, sagte sie zu Rose.
»Dann verspreche ich es dir auch.« Rose lächelte.
Janey hatte in dem aufgewühlten Tumult Mühe, sich auf den Beinen zu halten. War es wirklich so eine gute Idee gewesen, zu einer Anti-Vietnamkrieg-Demonstration zu gehen? Sie unterstützte die Demonstrationen natürlich, doch Charlie, dessen Idee es ursprünglich gewesen war, war nicht an ihrem verabredeten Treffpunkt aufgetaucht. Sie hätte gern einen Rückzieher gemacht, um zu ihm zu gehen und ihn aus dem Bett zu holen, wo er sehr wahrscheinlich war, doch seine Freunde meinten, es wäre Zeit, zu der Demonstration zu gehen. Und jetzt war sie in Gefahr, mitten in eine hässliche Auseinandersetzung zwischen Demonstranten und Polizei zu geraten.
Die Reibereien waren dadurch ausgelöst worden, dass hitzköpfige Demonstranten Flaschen auf die Polizeiabsperrung vor der amerikanischen Botschaft geworfen hatten. Die Polizei hatte versucht, sie daran zu hindern, und hier und da
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