Ein Herzschlag danach
zurück.
»Hier … äh, hier läuft was aus, wir versuchen gerade, es zu reparieren.«
Schritte entfernten sich. Ich drehte mich wieder zu dem Fremden um. Seine Anspannung schien verschwunden; er war in sich zusammengesunken und lehnte erschöpft an einer der Kabinentüren. Ich versuchte meine Gedanken zu ordnen.
»Warum wurde Ihr Sohn entführt?«
Sein Blick war schwer und trübe. Er sah eigentlich nicht sehr furchterregend aus.
»Wer sind Sie? Sind Sie so wichtig, dass diese Leute Ihren Sohn kidnappen?«
Er schüttelte den Kopf. »Sie sind nicht hinter mir her. Sie wissen überhaupt nichts von mir. Es geht um meinen Sohn – darum, wozu er fähig ist.«
Allmählich begann ich zu begreifen. »Was kann er tun?«, flüsterte ich.
»Wir sind wie du.« Ich fing unwillkürlich zu zittern an. Er löste den Blick nicht von meinem Gesicht. »Wir können … bestimmte Dinge tun …«
Ich schluckte, versuchte so ruhig wie möglich zu bleiben. »Was für Dinge?«
»Wir sind … von der gleichen Art«, antwortete er zögernd. »Oder einander zumindest sehr ähnlich. Wir alle haben bestimmte … Talente, Fähigkeiten, Kräfte … Ich kann dir jetzt nicht alle Einzelheiten erklären, aber ich brauche deine Hilfe.«
Das war eine Falle. Es konnte gar nicht anders sein. Was war, wenn er zu den bösen Buben gehörte? Zu den Leuten, die hinter mir her waren? Auf gar keinen Fall würde ich ihm von meiner geheimen Kraft erzählen. »Ich verstehe das nicht. Was Sie sagen, ergibt einfach keinen Sinn.«
Er hob die Augenbrauen wie eine Aufforderung, jetzt nicht mehr die Ahnungslose zu spielen. Ratlos blickte ich zur Tür, dann wieder zu ihm hinüber. Er sagte nichts, sondern sah mich nur flehend an.
»Warum erzählen Sie mir das alles? Wir müssen mit meinem Bruder sprechen. Er kann Ihnen vielleicht helfen. Ich weiß nichts über die Leute, die Ihren Sohn entführt haben.«
Er schrie auf. »Nein! Weder Alex noch Jack noch sonst jemand von der Einheit darf das wissen!«
»Warum?«
»Hör mir zu!« Er hatte seine Stimme wieder unter Kontrolle, aber sein Gesichtsausdruck war wild und wütend. »Du darfst ihnen nichts von mir erzählen!«
Plötzlich wurde ich von einer entsetzlichen Furcht ergriffen. Meine Stimme bebte. »Warum nicht?«
Er stand jetzt nur noch ein paar Zentimeter von mir entfernt. Meine Hände klammerten sich am Waschbecken fest, das meine einzige Stütze war.
»Weil die Einheit Leute wie uns beide seit fünf Jahren jagt.«
Wieder klopfte es an der Tür. Ich erschrak so sehr, dass meine Beine nachgaben und ich zu Boden sank.
»Lila?«
Mein Blick wanderte zur Tür. Jack.
Er rief noch einmal meinen Namen. »Lila?«
Ich rührte mich nicht. Key starrte auf mich herab, die Augen vor Angst weit aufgerissen. Wer war dieser Mann? Warum sollte ich ihm vertrauen? Dort draußen stand mein Bruder! Ich zögerte, nur eine Sekunde davon entfernt, um Hilfe zu rufen. Aber ich tat es nicht. Was war, wenn Key die Wahrheit sprach?
»Ich komme gleich!«, rief ich zurück.
»Warum brauchst du denn so lange?«, schrie Jack und versuchte, die Tür zu öffnen. »Und warum ist die Tür abgeschlossen?«
»Ich habe nur …« Hektisch blickte ich mich um, spürte Schweißperlen wie kleine Nadelstiche überall am Körper. »Ich hab ein kleines weibliches Problem …«
Ich schloss die Augen und betete, dass ihn diese Antwort so sehr in Verlegenheit setzen würde, dass er sich wieder verkrümelte. Sekundenlang blieb es auf der anderen Seite der Tür still. Dann ging der Türgriff wieder hoch. »Ach so«, hörten wir ihn murmeln. »Okay … äh … dann bis gleich.« Seine Schritte entfernten sich.
Ich wartete, bis sich Key wieder ein wenig zurückgezogen hatte, dann stand ich auf. »Was meinen Sie damit, dass die Einheit Leute wie uns jagt?«
Das Weiße in seinen Augen war von roten Äderchen durchzogen. Er wirkte erschöpft. »Damit meine ich genau das, was ich sage. Sie verfolgen Leute wie uns, Leute wie dich, Lila, wie Nate, wie mich. Menschen, die über besondere Kräfte verfügen. Von mir weiß die Einheit noch nichts, aber ich fürchte, dass sie über Nate Bescheid weiß.«
Ich schüttelte den Kopf. »Was wollen Sie damit sagen?«
Er seufzte. »Lila, ich habe dich beobachtet. Ich weiß, was du kannst. Ich bin dir gefolgt, seit ich dich im Militärcamp mit deinem Bruder und diesem Alex zum ersten Mal gesehen habe. Gerade vorhin – was war mit dem Kellner los?« Er tippte sich an die Schläfe. »Das warst du.
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