Ein Himmel voller Sterne
Kommode gestellt hatte, war defekt, irgendjemand hatte sich einen Spaß daraus gemacht, die Flügel abzumontieren und stattdessen Tannenzweige einzustecken. Die kleinen Engel, die unten auf der Pyramide standen und ein Konzert bliesen, hatten auf einmal kleine rosa Hörner aus Kaugummi.
„Es tut mir leid, aber so weit konnte ich noch nicht aufräumen“, entschuldigte sich seine Haushälterin. „Und ob da noch was zu retten ist …“
„Es ist meine Schuld. Ich hätte diese Leute nicht einladen sollen. Wann sind die Nowacks denn gegangen?“ Das waren Bekannte aus der Branche. Sie lebten in Mannheim, waren aber der Einladung von Karsten gern gefolgt, da sie Angst vor den Feiertagen hatten. Vor einem halben Jahr war ihre einzige Tochter tödlich verunglückt. Die Vorstellung, ohne sie Weihnachten zu feiern, hatte den Nowacks nicht behagt. Wohl aber auch nicht die wilde, ungezügelte Party, zu der Karstens Einladung ausgeufert war.
„Sie haben sich verabschiedet, gleich nachdem Sie fort waren. Frau Marais ist allerdings hier geblieben. Sie schläft noch.“ Das klang ein bisschen spitz.
„Elaine ist hier?“ Stirnrunzelnd ging Karsten in den Nebentrakt, in dem die Gästezimmer lagen.
„Nein, nein, sie schläft wohl bei – Ihnen. Ich hab sie jedenfalls am frühen Morgen in Ihre Räume gehen sehen.“ Die Haushälterin zuckte mit den Schultern. „Ich wusste ja nicht, ob ich sie aufhalten sollte … Sie haben nichts gesagt, und weil sie doch früher auch …“
„Schon gut. Ich regle das.“
Verdammt! Dieses Biest! Karsten hätte Elaine am liebsten an ihren langen blonden Haaren aus dem Zimmer geschleift, doch er sah ein, dass er sie in ihrem Zustand nicht einfach aus dem Haus weisen konnte. Sie war betrunken – und wahrscheinlich nicht nur das.
Also ließ er sie schlafen, duschte ausgiebig, frühstückte vier Tassen Kaffee – und überlegte krampfhaft, was er tun sollte. Noch mal mit Bettina reden? In Ruhe? Ihr klarmachen, dass er vor einiger Zeit nur ein Geschenk für eine seiner Angestellten gebraucht hatte? Das hatte eigentlich Annette besorgen wollen, doch sie hatte geschäftlich nach Mailand gemusst. Also hatte er sich erboten, die Wickelkommode samt Erstausstattung zu besorgen. Frau Mitterland war eine der Designerinnen, die in den letzten drei Jahren ganz entscheidend zum Erfolg von KORY-Moden beigetragen hatte. Es war nur recht und billig, sie mit einem besonderen Geschenk zur Geburt ihres Kindes zu erfreuen.
Als er Elaine davon erzählte, hatte sie gleich erklärt, dass sie ihn gern begleiten würde. Welch fatale Konsequenzen das hatte – niemand hätte es voraussehen können!
„Ich bin unterwegs!“, rief er der Haushälterin zu. „Richten Sie kein Essen, es kann später werden. Und nehmen Sie sich frei für den Rest des Tages. Aber bitte erst, wenn Elaine Marais das Haus verlassen hat. Wenn es zu lange dauert, schmeißen Sie sich einfach raus.“
Na, der macht es sich einfach!, dachte die Haushälterin, aber sie war entschlossen, diese Anweisung auszuführen. Mit größtem Vergnügen!
+ + +
„Mein Gott, wie siehst du denn aus? Du könntest glatt den Tod im „Jedermann“ spielen.“
„Danke. Sehr aufbauend.“
„Keine Ursache. Schwestern sollten immer ehrlich zueinander sein.“ Kim grinste, doch als sie bemerkte, wie elend es Bettina ging, wurde sie ernst. „Sag mal, wie lange liegst du schon im Bett?“
„Keine Ahnung. Drei Tage vielleicht …“
„Warum hast du mir nichts gesagt? Ich war doch in der Nähe und hätte dir …“
„Lass es“, fiel ihr Bettina ins Wort. „Ich bin gut allein zurecht gekommen. Und ich wollte dir doch nicht deine Weihnachtsferien verderben.“
„Du bist verrückt. Sag mir, wenn dich der Heiligenschein zu sehr drückt.“ Kim öffnete entschlossen das Fenster, ließ die kalte Winterluft ins Zimmer. Forschend sah sie Bettina an. „Wann hast du zum letzten Mal was gegessen?“
„Keine Ahnung …“ Fröstelnd zog Bettina sich die Bettdecke höher. Sie hatte fiebrig glänzende Augen und fühlte sich so schlecht wie nie zuvor.
Kopfschütteln, aber kein Kommentar. Kim sah ein, dass sich ihre große, immer vernünftige Schwester in einem Ausnahmezustand befand. Also ergriff sie die Initiative. Sie machte Ordnung, zwang Bettina, wenigstens eine Suppe zu essen. Sie räumte die Weihnachtsdeko ab und überlegte dabei fieberhaft, wie sie den Jahreswechsel gemeinsam verbringen könnten. Auf keinen Fall sollte das hier in Hamburg passieren, in der
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