Ein Hippie-Traum
Feldern. Das Leben ist gut!
Da bemerke ich einen üblen Geruch, der mit jedem Meter intensiver wird. Bloß hoch mit dem Fenster. Von einer kleinen Anhöhe aus erblicke ich die Schweinemastanlage, die die Ursache des Gestanks ist. Kurz darauf habe ich sie hinter mir und den Wind von vorn. Probeweise lasse ich das Fenster wieder herunter. Ein paar kleine Familienfarmen ziehen vorbei, und der süße Geruch der Felder weht wieder herein. Ich liebe diese Straße. Ich frage mich, wie lange diese Schweinefabrik dort schon steht und was die Einheimischen davon halten, wie es wäre, in Windrichtung davon zu leben. Verdammt, diese Musik ist gut: Irgendwie geht es darum, dass ihr Mann ein Jäger und nie zu Hause ist, weil er immer mit seinen Hunden herumzieht. Mir wird klar, dass ich diese Musik liebe, weil sie von einem Leben erzählt, das ich nicht sehen kann. Eine Art Fata Morgana aus den ländlichen Südstaaten.
»Boys from the South« beginnt, und wieder bin ich von dieser Musik hingerissen. Sie kommt als Neuveröffentlichung auf Rhapsody aus dem Nichts. Sie wird nicht im Radio gespielt. Siewird nicht groß beworben. Einfach echter guter Country. Plötzlich geht mir auf, dass alles sich so sehr verändert hat, dass ich irgendwann den Anschluss verlieren könnte. Der Lebensstil, den ich kenne, ist auf dem Rückzug. Er geht langsam unter. Aber ich kann noch fühlen. Das kann mir niemand nehmen. Das ist eine Gabe, die ich immer noch besitze, und ich will, dass meine eigene Musik sich so lebendig und energiegeladen anfühlt wie das, was ich gerade höre. Wird es dazu kommen? Werde ich einfach meine glorreichen Zeiten neu durchleben, wenn ich wieder Platten aufnehme? Wird es jemand hören? Zweifel ziehen auf, während ich auf dreißig runtergehe und eine hufeisenförmige Anlage am Straßenrand passiere. RETIREMENT MOTEL steht auf einem Neonschild. Ein Rentnermotel. Ich sehe die Anzeige für freie Zimmer, kann aber nicht erkennen, ob sie selbst leuchtet oder ob nur die Sonne daraufscheint.
Ich rolle weiter, die Straße wird langsam steiler. Ich versuche, zu Hause anzurufen, aber der Empfang ist gerade weg. Nach einer GPS -Kontrolle beschließe ich, abzubiegen und für die lange Strecke bergauf die Interstate ein paar Meilen weiter zu nehmen. Auf der großen Straße geht es schneller voran, und der Generator läuft auf Hochtouren, als ich auf siebzig oder fünfundsiebzig beschleunige. Der Tankstand ist niedrig, und ich frage mich langsam, ob ich irgendwo E85 bekommen werde (85 Prozent Ethanol, 15 Prozent Benzin) oder ob ich auf reines Benzin umsteigen muss. Diese Steigung ist richtig lang. Die Interstate verläuft meilenweit in einer geraden Linie, und die Felder und Farmen werden von einer unwirtlicheren Landschaft abgelöst. »Loneliness has been good to me« läuft in meinem inneren Radio, wo ich Songs höre, bevor ich sie aufschreibe, und ich frage mich, ob das nur wieder eine Fata Morgana ist, die ich vergessen werde, oder ob daraus ein richtiger Song wird. Es ist lange her, seit ich den letzten Song geschrieben habe, die Muse kommt mich immer seltener besuchen. Ich bewahre mir dennoch den Glauben, dass die Muse schon weiß, was sie tut, und dass die Inspiration kommen wird, wenn ich bereit bin. Ich bemühemich, nicht allzu bereit zu wirken. Ich weiß, dass das bloß falsche Hoffnungen weckt.
Ich fahre an einem Anhalter vorbei, der in der Gegenrichtung geht, auf der anderen Seite der großen Straße. Man sieht nicht mehr oft welche, schon gar nicht an der Interstate. Beim Blick in den Rückspiegel ist er verschwunden – vielleicht war es auch eine Sie. Ich bin sicher, jemand gesehen zu haben, aber ich sollte lieber nicht zurückschauen, deshalb denke ich nicht mehr daran und setze meinen Weg bergauf fort. Der große Lincoln hält konstant vierundsiebzig Meilen die Stunde und legt dabei die legendäre Kraft an den Tag, die ihn zu einem echten Continental macht, obwohl sein Antrieb völlig elektrisch ist. Ein leises Sirren dringt durch den Rücksitz: Die zweihundert Kilowatt tun ihre Arbeit.
Viele Insekten sind zu Tode gekommen, und durch die Windschutzscheibe sieht man noch weniger als vor einer Weile. Ich schalte die Waschanlage ein. Anfangs zieht sie breite Schlieren, und ich drücke so lange den Knopf, bis ich wieder klare Sicht habe. Die Scheibe ist sauber, aber nur da, wo die Wischer hinkommen. Alles Übrige ist nur als Windschutz zu gebrauchen. Auf halbem Weg die Steigung hinauf macht die Straße einen Bogen, und
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