Ein Hoffnungsstern am Himmel Roman

behandeln und von Weideplatz zu Weideplatz zu treiben. Ross Cooper hatte sie sehr bewundert, und nach seinen Aufzeichnungen zu schließen, hatten viele seine Hingabe bei der Behandlung ihrer Tiere ebenso hoch geschätzt.
    Estella las Seite um Seite und spürte, wie einsam ihr Vater gewesen war. Er erwähnte es nicht ständig, doch sie las es in seinen Worten. Er verbrachte viel Zeit damit, durch die Wüste zu streifen und an den Ufern des Diamantina River umherzuwandern. Dann dachte er viel an sie und ihre Mutter, und seine Worte spiegelten seine Traurigkeit wider. Er schrieb, dass er sich gewünscht hätte, Caroline wäre bis zu Estellas Geburt bei ihm geblieben, damit er sie zumindest einmal hätte sehen können. Doch er fügte hinzu, dass er es nicht ertragen hätte, wäre Caroline mit Estella abgereist, weil ihm das Mädchen dannsicher schon viel zu sehr ans Herz gewachsen wäre. Obwohl er Estella nie gesehen habe, liebe er sie sehr. Als Estella diese Worte las, konnte sie seinen Schmerz erst richtig ermessen und fühlte den gleichen Kummer. Sie hätte Ross jetzt gebraucht, so wie er damals sie gebraucht hatte, und sie kam sich vor, als fehle ihr ein Stück ihres eigenen Herzens.
    Im Jahr 1946 schrieb Ross, die australische Regierung habe die Quantas gekauft, die Luftfahrtlinie für Queensland und das Nord-Territorium, und sie wolle diese Linie zum Aushängeschild des Landes machen. Im selben Jahr bot Quantas zum ersten Mal Flüge nach London auf einer Linie an, die »Känguru-Route« genannt wurde. Ross schrieb, er bete darum, dass Estella eines Tages die Reise nach Australien unternehmen werde, denn er träume von dem Tag, an dem sie sich endlich kennen lernen würden.
    In den späten Vierzigern schrieb Ross mehr und mehr über die Aborigines, doch es schien, als habe besonders eine unter ihnen seine Aufmerksamkeit erregt: Mai. Sein wachsendes Interesse und seine zunehmende Bewunderung für die Aborigines waren deutlich zu spüren. Er erwähnte auch die Ankunft von Dr. Dan Dugan.

    7. Januar 1948: Heute kam Dr. Dugan als Nachfolger für Steven Holland, der an einer seltenen Lungeninfektion erkrankt ist, nach Kangaroo Crossing.

    10. März 1948: Armer Dan! Er ist ein sehr guter Arzt und kommt wunderbar mit den Aborigines zurecht, doch irgendetwas scheint ihn furchtbar zu quälen.

    12. September 1948: Dan und ich sind sehr gute Freunde geworden. Ich tue mein Bestes, damit er nüchtern bleibt, aber ich fürchte, niemand kann ihn von seinen inneren Qualen befreien. Er hat mir im Vertrauen von einem Unfall erzählt, derdie Ursache dieser Qualen ist. Ich habe versucht, ihn zu überzeugen, dass ihn keinerlei Schuld trifft, aber all meine tröstenden Worte stoßen auf taube Ohren. Dan ist noch ein junger Mann, aber wenn er sich weiter so zu Grunde richtet, wird er nicht alt. Und das wäre ein Jammer, denn er hat der Welt viel zu geben.

    15. November 1948: Estellas Geburtstag. Ich habe eben einen Brief von Flo mit einem wunderbaren Geschenk erhalten: einem kleinen gemalten Porträt von Estella. Sie ist unglaublich schön! Jahrelang habe ich versucht, sie mir vorzustellen, aber keine meiner Vorstellungen reicht auch nur entfernt an die Wirklichkeit heran!

    Estella erinnerte sich schwach, dass Caroline Flo hatte schwören lassen, ihrem Bruder keine Fotografie von ihr zu schicken. Doch wie es schien, hatte Flo einen Weg gefunden, damit Ross seine Tochter sehen konnte, ohne dass sie ihr Versprechen brechen musste. Sie erinnerte sich auch noch an Flos Bitte, einem Künstler Modell zu sitzen, der kurze Zeit im Haus ihrer Tante gewohnt hatte. Estella fragte sich, wo das Bild sich jetzt befinden mochte, denn unter den Sachen ihres Vaters hatte sie es nicht entdeckt.

    ... Flo schreibt, dass Estella ihre Sache an der Universität sehr gut macht. Ich könnte stolzer nicht sein! Ich sehne mich danach, sie zu sehen, fürchte jedoch, ich würde bloß ihr Leben durcheinander bringen, und ich möchte sie nicht verwirren oder verletzen. Ich bin froh, dass sie eine schöne Jugend hatte, und obwohl ich Marcus Wordsworth aus tiefster Seele beneide, schulde ich ihm doch Dank dafür, dass er mein kleines Mädchen behütet und ihr das Leben ermöglicht, das ich mir für sie wünsche.4. Januar 1949: Mai und ich sind heute durch eine Aborigine-Zeremonie getraut worden. Meine Frau ist ein sehr vielschichtiger Mensch und gibt mir viel. Sie hat mein Herz für das Land um mich her geöffnet und mich mit neuer und tiefer Achtung vor dieser