Ein Hoffnungsstern am Himmel Roman
Entfernung. Dankbar für die Gesellschaft sagte Estella: »Hallo, Schöner!« Sie flüsterte es beinahe, denn sie erkannte, dass es ein wilder Hund war, der erste, den sie nicht nur auf einem Foto sah. Kurz schoss ihr durch den Kopf, dass das Tier vielleicht überlegte, sie zum Abendessen zu verspeisen – doch als es nicht näher kam, verwarf sie diesen Gedanken. Sie war fasziniert von seinem Anblick, seinem schmalen, geschmeidigen Körper, den langen Beinen. Es war ein noch junger Rüde; sein Rücken und die Oberseite seinesKopfes schimmerten in einem warmen Karamelton, während die Beine, die Brust, das Gesicht und der buschige Schwanz, der sich leicht ringelte, fast weiß waren. Der Hund sah sie weiter ruhig aus seinen dunklen, klugen Augen an. Estella wurde klar, dass es wahrscheinlich dieselben Augen waren, die sie kürzlich in der Dunkelheit gesehen hatte. Sie fragte sich, ob Ross das Tier vielleicht gezähmt hatte, und ob es nun nach ihm suchte.
»Ich habe leider nichts dabei, das ich dir zu fressen geben könnte«, sagte sie. »Aber am Feuer hinter dem Haus könnten noch ein paar Reste für dich sein.« Plötzlich hob der Hund den Kopf zum Himmel und heulte. Es war das unheimlichste Geräusch, das Estella je gehört hatte.
Mai erschien auf der Veranda, gefolgt von Binnie.
»Still!«, flüsterte Estella und deutete auf den Dingo, weil sie fürchtete, die beiden könnten ihn vertreiben. Als Mai den Hund sah, der sie kurz anblickte, bevor er wieder zu heulen begann, starrte sie ihn aus weit aufgerissenen Augen an. Sie sah aus, als würde sie jeden Moment ohnmächtig zusammenbrechen.
»Was ist mit dir?«, fragte Estella leise und stand auf, doch Mai fing plötzlich zu kreischen an und rannte ins Haus. Als Estella dorthin blickte, wo der Dingo gestanden hatte, war dieser verschwunden.
Sie verstand Mais Reaktion nicht. Die Aborigine-Frau musste doch an den Anblick von Dingos gewöhnt sein, und bestimmt kannte sie auch deren Geheul. Estella nahm Binnie bei der Hand und ging ins Haus, wo sie Mai in der Küche fand. Die Aborigine ging auf und ab und sprach leise mit sich selbst, wild gestikulierend und mit noch immer schreckgeweiteten Augen.
»Was ist los mit dir?«, fragte Estella verwundert. »Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen. Binnie ist schon ganz verängstigt.«
»Ross ... sein Geist ... zurückgekommen!«, rief Mai, der beinahe die Augen aus den Höhlen traten.
»Wovon redest du eigentlich?«, rief Estella, die sich fragte, ob sie die Aborigine-Frauen jemals verstehen würde.
»Ross ... hier gestorben«, erwiderte Mai und deutete zum Schlafzimmer.
»Ich weiß, Charlie hat es mir erzählt. Aber was hat das mit dem Dingo zu tun?«
»Ross’ Geist ... in Dingo!«, gab Mai zurück, ergriff ihrerseits die Hand ihrer Tochter und eilte aus dem Haus.
»Das ist doch lächerlich, Mai!«, rief Estella und folgte den beiden zum Feuer. Noch immer war Mai völlig verstört.
»Ross’ Geist gekommen!«, schrie sie und drückte Binnie an sich.
Estella ging auf sie zu und bemühte sich, ruhig zu bleiben. Ob alle Aborigines so abergläubisch waren? »Mai, das ist Unsinn. Du machst Binnie Angst, also sei still!«
»Dingo ... erst hier, seit Ross ... tot«, stammelte Mai. »Ich ihn vorher ... nie gesehen!«
»Das bedeutet gar nichts«, erwiderte Estella. »Vielleicht hat Ross ihn mal gefüttert, als du nicht da warst.«
»Warum er dann heult?«
»Ich weiß nicht, warum Dingos heulen.« Estella musste gestehen, dass auch sie es eigenartig fand. Normalerweise heulten Hunde nur, wenn sie das Geheul anderer Hunde hörten. Dieses Rudelverhalten war ihnen von den Wölfen vererbt.
Mai starrte sie mit großen Augen an. Estella ahnte, dass die Aborigine ihre Meinung nicht ändern würde. Und Mais Furcht, auch wenn sie unbegründet war, schien echt zu sein.
»Jedenfalls ist der Dingo jetzt fort, und ich gehe schlafen«, erklärte Estella bestimmt. Sie blickte die verängstigte Binnie an. Das Kind tat ihr von Herzen Leid. Sie streckte die Hand aus und strich dem Mädchen über den Kopf. »Wenn du mich brauchst, ich bin im Haus«, flüsterte sie.Am nächsten Morgen erwachte Estella von einem Kitzeln an der Wange. Sie schlug die Augen auf und sah Binnies Gesicht nur Zentimeter über dem ihren. Dahinter fiel helles Sonnenlicht durch den dünnen Vorhang und umrahmte den dunklen Kinderkopf. Binnie hatte eine lange Feder in der Hand, mit der sie jetzt Estellas Nasenspitze berührte.
»Was tust du da?«, fragte
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