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Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Hummer macht noch keinen Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Wekwerth
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Luft mehr und rang lautstark nach Atem.
    »Was ist?«, fragte das Kind. Der Mops stand hinter ihr und wedelte mit dem Ringelschwanz.
    Hertha versuchte sich zusammenzureißen, aber es gelang ihr nicht. »Mein Sohn«, schluchzte sie. »Ich glaube, er ist tot.«
    »Och«, machte Rosie beeindruckt. »Echt?«
    Hertha schlug sich beide Hände vors Gesicht.
    »Wir können ihn ja besuchen gehen«, schlug Rosie vor. »Dann sehen wir, ob er tot ist oder nicht.«
    Hertha sah sie durch ihre gespreizten Finger hindurch an und schniefte. »Du bist ein kluges kleines Mädchen.«
    »Weiß ich. Komm, Feivel, Gassi.«
    Kurz darauf marschierte Hertha mit Rosie an der Hand und dem Mops an der rosa Leine den Kaiserdamm entlang. Sie liefen auf der schattigen Seite. Trotzdem hatte Hertha ihren geblümten Regenschirm aufgespannt.
    Nach einer Viertelstunde erreichten sie den Lietzenseepark, und fünf Minuten später klingelten sie bei Theodor Sturm.
    Niemand öffnete.
    Hertha begann wieder zu schluchzen. »Schließ auf«, sagte Rosie ungeduldig.
    Sie fuhren mit dem Fahrstuhl nach oben. Hertha klingelte, Rosie klopfte, Feivel bellte. In der Wohnung blieb alles still.
    Mit zitternder Hand sperrte Hertha die Tür auf. »Theodor?«, rief sie leise und trat ein. Es roch nach Fisch. Auf dem Esstisch standen leere Weinflaschen und heruntergebrannte Kerzen. »Theodor?«
    Rosie lief den Korridor hinab. »Thedodo!«
    Hertha ging in die Küche, in der es chaotisch aussah. Auf dem Herd standen schmutzige Töpfe und Teller, ein klebriger Ofenhandschuh lag auf dem Fußboden und wurde gerade von Feivel angekaut.
    »Thedodo!«, erklang es aus der Tiefe der Wohnung. Und dann kam Rosie angerannt und berichtete: »Da liegt einer im Bett.«
    Hertha fasste sich ans Herz, das völlig außer Kontrolle geraten war. Sie hatte Recht gehabt. Etwas ganz Schlimmes war passiert. So schlimm, so unaussprechlich … Ihre Knie gaben nach. »Ich kann da nicht reingehen«, flüsterte sie und setzte sich auf einen Küchenstuhl.
    »Der atmet aber noch«, versicherte Rosie und griff nach Herthas Hand. »Komm.«
    Hertha ließ sich in Theodors Schlafzimmer führen. Da war er ja, ihr Junge. So groß und dünn und leichenblass, aber Rosie hatte Recht: Das Laken, unter dem er lag, hob und senkte sich. Hertha beugte sich über ihn. »Kannst du mich hören?«, schrie sie. »Hier ist deine Mutter!«
    Theodor öffnete die Augen.
    »Du hast ja Fieber!« Hertha wich zurück. »Ich rufe den Notarzt!«
    »Cool«, sagte Rosie.
    »Nein, nein.« Theodor hob eine schlaffe Hand. »Paracetamol wäre vollkommen ausreichend.«
    Rosie schob die Unterlippe vor. »Menno.«
    »Komm, Kind, hilf mir«, rief Hertha und eilte geschäftig ins Badezimmer. Feivel war schneller, aber keine große Hilfe. Interessiert beobachtete er, wie Hertha mehrere Handtücher in die Badewanne warf und den Kaltwasserhahn aufdrehte. »Wadenwickel«, erklärte sie ihm. Dann legte sie die ausgewrungenen Tücher in Rosies Arme und ging mit ihr zurück ins Schlafzimmer. Feivel trottete hinterher.
    »Ich brauche wirklich bloß ein paar Tabletten«, protestierte Theodor. »Scheint eine Sommergrippe zu sein.« Dass die beträchtliche Menge Alkohol der vergangenen Nacht eine weitere Ursache für sein diffuses Leiden sein könnte, verschwieg er wohlweislich.
    Hertha legte seine Füße frei.
    »Und was ist das überhaupt für ein Kind«, fragte Theodor, »das da am Bettrand steht und meine Füße anstarrt?«
    »Sind die riesig«, murmelte Rosie.
    »Das, mein lieber Theodor, ist meine treue Freundin Rosie. Und sie war mir heute Vormittag die Stütze meines Lebens.«
    »Die Stütze meines Lebens«, wiederholte Rosie und nickte ernsthaft.
    Dann kamen die Wickel an die Reihe.
    »Kalt«, meckerte Theodor, »und viel zu nass. Ihr ruiniert mir ja den Parkettboden.«
    »Psst.«
    Endlich steckten bleiche Waden in kalten Umschlägen. Theodor lächelte schwach. »Merci, Maman.«
    Hertha stemmte die Fäuste in die Hüften. »Bedank dich bei Rosie.«
    Doch die hatte sich inzwischen mit Feivel auf den Weg gemacht, um die große Wohnung zu erkunden. Staunend stand sie gerade vor dem Grammophon.
    »Wo hast du sie her?«, fragte Theodor.
    »Wo ich sie herhabe ?«
    »Ja. Hast du sie ausgebrütet, oder ist sie aus deinem Kleiderschrank gefallen? Wieso tauchst du hier mit einem kleinen Mädchen auf, das ich noch nie gesehen habe?«
    Hertha sah streng auf ihren Sohn herab. »Rosie ist die Tochter von Davids neuem Freund Rudolf Euter, der eine Galerie hat und

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