Ein Hummer macht noch keinen Sommer
Stuckrosette an der Decke und fragte sich gerade, wie viele Leute wohl schon vor ihm in ebendiese Rosette gestarrt hatten (das Haus war schließlich vor über hundert Jahren erbaut worden), als sich leise die Schlafzimmertür öffnete. Theodor schloss die Augen und stellte sich schlafend.
Er hatte keine Lust zu reden.
Eine Weile passierte nichts. Dann knarrte das Parkett. Jemand schien sich seinem Bett zu nähern. Das konnte ja bloß Frau Schilling sein, die ihm in ihrer fürsorglichen Art eine Tasse Tee bringen wollte. Wie nett, aber warum ging sie denn nicht wieder? Theodor hörte sie atmen.
Schließlich wurde es ihm zu dumm, und er öffnete die Augen. Und was er sah, verschlug ihm die Sprache. Splitterfasernackt stand Natalie Schilling mit weit aufgerissenen Augen an seinem Bettrand und trat sichtlich verlegen von einem Fuß auf den anderen.
Theodor gab einen quäkenden Laut von sich, zu dem er sich nicht fähig geglaubt hätte. Dann tauchte er eilig unter seine zerwühlten Laken, um dort einen Entsetzensschrei zu unterdrücken. Hilfe , dachte er panisch, was mach ich denn jetzt? Doch plötzlich wurde ihm die Absurdität seiner Situation bewusst. Ein gewaltiges Lachen begann in seinem Bauch zu brodeln, schob sich wie eine Naturgewalt in die Höhe, füllte seinen Hals aus, verzog seine Mundwinkel, ließ seinen Körper konvulsivisch zucken.
Ratlos sah Natalie auf den weißen Hügel. Nun, Herr Silberstadt machte offenbar keine Anstalten, jetzt gleich glutvoll über sie herzufallen. Irgendetwas war mal wieder schiefgegangen. Und peinlich war es außerdem. Natalie ging einen Schritt nach hinten. Sie könnte behaupten, dass sie auf dem Weg ins Badezimmer gewesen wäre und sich in der Tür geirrt hätte. Das klang doch äußerst plausibel.
Der Hügel zitterte.
Am besten wäre es wohl, den Rückzug anzutreten, solange Herr Silberstadt noch unter seinem Laken hockte. Dann könnte sie später behaupten, er hätte eine Fiebervision gehabt.
Aber Herr Silberstadt, haha, ich muss mich doch sehr wundern. Das ist ja … hahaha, und wovon träumen Sie nachts?
Jetzt aber nichts wie weg hier.
Natalie drehte sich um, flitzte auf Zehenspitzen davon, und als sie schon fast an der Tür war, hörte sie Theodor röcheln. Abrupt blieb sie stehen. Der Lakenhügel bäumte sich auf und sank wieder in die Tiefe. Erlitt Theodor gerade einen Herzinfarkt?
»Herr Silberstadt?«, rief Natalie leise, erhielt aber keine Antwort. Nur ein Japsen erklang. Er stirbt, dachte sie und sah sich hektisch im Raum nach etwas um, womit sie ihre Nacktheit bedecken könnte. Sie fand aber nichts. Deswegen riss sie kurzerhand ein Ölgemälde von der Wand, auf dem zwei rotwangige Äpfelchen auf einem Teller dargestellt waren, und hielt es sich vor die Brüste. Dergestalt gerüstet, näherte sie sich wieder dem Bett. Vorsichtig lüpfte sie das Laken. Da lag er, in embryonaler Kauerhaltung: der Mann ihrer Träume, ihr Ex-therapeut, und versuchte vergebens, sich die Fingerknöchel beider Hände in den Mund zu stopfen.
»Haben Sie Schmerzen?«, flüsterte Natalie.
Er wandte den Kopf ab, schüttelte ihn und schnaufte erstickt in die Matratze.
»Ich rufe den Notarzt«, entschied Natalie und eilte, das Apfelbild wie einen Schild vor sich hertragend, zur Tür.
»Nicht nö-höhö-tig«, rief Theodor glucksend, und Natalie fiel ein, dass ihr Hinterteil unbedeckt und sonnenbeschienen war. Schnell drehte sie sich um, und genau in diesem Moment richtete sich Theodor auf. Er sah Natalie mit nackten Hinterbacken herumwirbeln. Nun stand sie vor ihm und hielt ein Ölgemälde aus dem neunzehnten Jahrhundert vor sich. Die Farbe der Äpfelchen war dieselbe, die in ihrem Gesicht glühte.
Theodor wischte sich übers Gesicht. Reiß dich zusammen, dachte er bebend, reiß dich um Gottes willen zusammen. Er biss die Zähne aufeinander und konzentrierte sich darauf, wieder Herr über seinen zuckenden Körper zu werden, doch es fühlte sich an, als wäre irgendeine alberne Wesenheit in ihm gefangen, die wild an seinem Zwerchfell herumrüttelte und mit viel Gedöns wieder aus ihm herauswollte. Und zwar jetzt!
Theodor presste die Lippen zusammen, versuchte an etwas Trauriges zu denken, an Bambis Mutter, an die Beerdigung von Denys Finch Hatton, an … doch vergebens. Sein Mund öffnete sich, und brüllendes Gelächter quoll heraus.
»Lachen Sie etwa …«, rief Natalie empört hinter dem Gemälde hervor, »… über mich?«
Laut gackernd fiel Theodor in seine Kissen zurück, in
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