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Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Hummer macht noch keinen Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Wekwerth
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Sonst wäre es nicht zu ertragen.
    Und dann würde sie eine Handvoll Baldriantabletten schlucken und schlafen gehen.
    Dieser Tag schrie danach, beendet zu werden.
    ▶◀
    Alles war still.
    Erleichtert schloss David die Tür zu seinem Atelier auf.
    Er wollte jetzt an seinen Fast-Food-Flowers weitermalen, und sollte Tim-Luzifer auch nur versuchen, ihn daran zu hindern, würde er ihm eine knallen. Dass er neuerdings Lust verspürte, seine Mitmenschen zu schlagen, irritierte ihn. Da war diese Gereiztheit in ihm, diese nagende Ungeduld. Was wohl Theodor dazu sagen würde? David seufzte.
    Vorsichtig öffnete er die Tür und steckte seinen Kopf durch den Spalt. Das Licht der untergehenden Sonne blendete ihn, er blinzelte verzückt. Ebendieser Gelbton würde den schlaffen Gänseblümchen, die er vorhin auf einem Grünstreifen gepflückt hatte, genau die richtige Dosis Nostalgie verleihen. Und dazu könnte er einen angebissenen, mit rosa Zuckerguss verzierten Cupcake malen.
    Ein feminines Sujet. Warum nicht?
    Gänseblümchenzuckersüß würde er es nennen.
    David trat ein und schnupperte. Es roch eigenartig. Ganz angenehm eigentlich, nach Kamin, nach Geräuchertem, nach Skihütte. Die Assoziationen wollten bloß partout nicht zu einem Berliner Sommer passen. Egal, entschied David, jetzt schnell ans Werk. Das beste Mittel gegen Kummer jeglicher Art ist Arbeit, Arbeit und noch mehr Arbeit.
    Er warf sich einen Kittel über und wollte sich gerade vor seine Staffelei stellen, als er bemerkte, dass sie nicht mehr da war. Die Staffelei war verschwunden. Irritiert zwinkerte David mit den Augen. Das Gegenlicht machte ihn ja geradezu blind. Er trat zurück, und ein schepperndes Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Was war das? Missbilligend schüttelte David den Kopf. Eine leere Bierbüchse. Und da drüben war ja noch eine. Und noch eine … und noch eine. Der ganze Fußboden war davon übersät.
    Und was lag dazwischen herum und sah aus wie ein Schwarm toter Möwen? David hob einen der Papierflieger auf. Aus feinstem Aquarellpapier gefaltet, stellte er fest und knirschte mit den Zähnen.
    Was war hier los?
    In diesem Moment verschwand die Sonne hinter den Dächern, und David konnte das gesamte Ausmaß des Chaos in Augenschein nehmen. Sein Atelier war mal wieder total vermüllt, voller Zigarettenkippen und achtlos liegen gelassener Kleidungsstücke. Die Staffelei lag zerbrochen in einer Ecke. David hielt die Luft an.
    Ist das allegorisch, dachte er. Ich war geblendet von Tims Schönheit und sehe jetzt erst, wie sehr er eigentlich emotional verwahrlost ist.
    Doch es kam noch schlimmer. Denn gerade entdeckte David auf dem Holzfußboden einen riesigen kohlrabenschwarz verfärbten Fleck, in dessen Mitte ein Häufchen Asche leicht schwelte. Ungläubig starrte er darauf, und es dauerte einen Moment, bis er begriff: Tim-Luzifer und seine höllischen Freunde hatten im Atelier ein Lagerfeuer entfacht! Vielleicht, um Marshmallows zu grillen, ein wenig auf der Gitarre zu spielen und alte amerikanische Volksweisen zu singen?
    In Davids Kopf knackte etwas.
    Es wurde höchste Zeit, dass er diesen Schmarotzer loswurde. Rosies Läuse fielen ihm ein. Er hatte sich einen Blutsauger an Land gezogen, ein zurückgebliebenes Riesen-Laus-Baby mit pyromanischen Neigungen, das man nicht allein zu Hause lassen konnte. »Genug«, hörte sich David mit fester Stimme sagen. »Genug!«
    Und Sex hatten sie sowieso schon lange nicht mehr gehabt. Wer will schon Sex mit jemandem, der einen ganzen Nachmittag damit zubringt, Schokolinsen in die Luft zu werfen und mit dem Mund aufzufangen?
    Plötzlich hörte David Regen. Erst klang es wie Nieseln, dann schwoll das Geräusch an, und ein mächtiger Platzregen ging nieder. Erstaunt blickte David aus dem Fenster, sah aber bloß die staubtrockenen Dächer Berlins und darüber einen wolkenlosen Abendhimmel voller Schlieren.
    Wieder prasselte Regen, schwoll an, wurde leiser, verebbte.
    David lauschte angestrengt. Da! Jetzt ging es schon wieder los. Es kam aus dem Schlafzimmer. Ein Rohrbruch?
    Mit flatterndem Malerkittel stürmte David in den angrenzenden kleinen Raum, der nur durch einen Vorhang vom Atelier getrennt war, und was er erblickte, war viel schlimmer als ein Rohrbruch: Auf dem zerwühlten Futon lag Tim, nackt, grinsend und betrunken, ein merkwürdiges Instrument aus Bambus in die Höhe haltend, und neben ihm schlummerte, ebenso nackt (und wahrscheinlich ebenso betrunken), ein hübscher Asiat.
    »Hi, Dave«, lallte Tim

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