Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
das bei anderen
vielleicht albern ausgesehen hätte, bei ihm bildete es eine wunderbare Einheit
mit den schwarz darüber wogenden Locken. Sie blickte glücklich zu ihm auf, er
erwiderte ihren Blick, allerdings etwas abwesend.
„An was denkst du?“, fragte sie behutsam.
„Camilla wird auch da sein“, sagte er leise. „Ich hoffe, ihr
benehmt euch wie zwei Erwachsene?“ Er lächelte ein wenig verunglückt.
„An mir soll es nicht scheitern“, erwiderte Emily würdevoll.
„Aber du weißt, dass ich mit dir noch über sie reden muss?“
Er nickte. Da waren sie schon angekommen. Emily hatte
richtig vermutet, dass die Vernissage eher einer Modenschau glich. Von allen
Seiten strömten Damen und Herren, die einen Hauch von Luxus in der dunklen
Altstadtgasse verströmten. Die Männer halfen ihren Begleiterinnen über die
ausgetretenen Stufen in das hell erleuchtete Innere. Dort standen schon
diensteifrige Studentinnen mit kleinen weißen Schürzen, die Prosecco reichten.
Emily erkannte Franka, ihre Mitstudentin mit dem Baby, und nickte ihr zu.
Franka riss die Augen auf, als sie an Josues Seite in ihrem Glitzerkleid
erblickte und lächelte ihr dann anerkennend zu. Emily dachte, dass sie Franka
gerne näher kennenlernen würde. Vielleicht hätten sie ja nachher Zeit zu einem
kleinen Plausch, wenn sich der Trubel ein wenig verlaufen hatte. Emily sah, wie
sich Josue suchend umschaute, dann grüßte er über die Menge in die andere Ecke.
Vermutlich Camilla, dachte Emily seufzend. Sie konnte leider nicht über die
Menge hinwegsehen, Josue und Camilla hatten es da leichter. Schnell stürzte sie
den Prosecco hinunter und griff nach einem weiteren Glas. Diesen Abend würde
sie besser mit einem kleinen Schwips überstehen.
Ein grauhaariger, distinguiert wirkender Herr sprach sie von
der Seite an, indem er sein Glas hob. „Wie gefallen Ihnen die Arbeiten von Mira
Radowicz?“ Sie wusste, dass sie nun das Wort „interessant“ nicht in den Mund
nehmen durfte. Damit war sie schon einmal ins Fettnäpfchen getreten, als sie
mit Josue auf einer ähnlichen Veranstaltung in der Kunsthalle gewesen war. Sie
schaute auf die vornehmlich in Rottönen gestalteten Farbkleckse, die von
gitterartigen Strukturen überlagert waren, die an manchen Stellen aufgesprengt
wurden. „Sie wirken sehr archaisch. Mich erinnern sie gleichsam an kraftvolle
Geburtsvorgänge zumal der Aus- und Durchbruch immer wieder zu gelingen scheint. Urgewalt aus dem Uterus würde ich das da hinten nennen.“ Sie zeigte auf ein besonders plastisches
großformatiges Gemälde. Sie fand sich gar nicht so schlecht, die Wörter „zumal“
und „gleichsam“ platzierten sie doch zumindest in die Nähe intellektuellen
Geschwafels. Der Herr sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Sie konnte
leider an seiner beherrschten Mimik nicht erkennen, ob er sie innerlich
auslachte oder ihren Kommentar zumindest akzeptabel fand.
„Haben sie bereits geboren?“, fragte er leicht belustigt.
Emily schüttelte den Kopf, erinnerte sich aber an Annas drastische Schilderungen
der letzten Telefonate. Sie und Harry schienen sich intensiv mit dem
Geburtsvorgang auseinanderzusetzen. „Es ist, als wenn du einen Fußball kacken
müsstest“, hatte sie ihr beim letzten Gespräch erklärt. Emily schauderte, wenn
sie daran zurückdachte. „Nein, ich hatte noch nicht das Vergnügen.“
„Ich leider auch nicht“, bedauernd zuckte er die Schultern,
„aber ich muss Ihnen sagen, dass ist das Einzige, worum ich das weibliche
Geschlecht beneide.“ Nun war es an Emily, fragend die Augenbrauen hochzuziehen.
Josue war inzwischen auf ihr Gespräch aufmerksam geworden. Sie fühlte, wie er
sich unmerklich straffte. Die beiden Männer gaben sich die Hand.
Josue stellte Emily und ihn einander vor: „Herr Tiberius,
unser hochgeschätzter Intendant, Emily Neumann, meine Gefährtin.“
Emily drückte Herrn Tiberius kräftig die Hand und sah ihm
direkt ins Gesicht. Sie ließ sich zunehmend weniger ins Bockshorn jagen von den
Heidelberger „Von und Zus“.
Er grinste sie fröhlich an. „Ihre Freundin hat schon eine
faszinierende Interpretation der Kunstwerke hier abgegeben, die mich gleich auf
eine Inszenierungsidee für ‚Carmen‘ in der nächsten Spielzeit gebracht hat.“
Josue schaute sie zweifelnd an.
Und als sich Herr Tiberius weiter durch die Menge bewegte,
die vor ihm zurückwich, als wäre er von königlichem Rang, zischte Josue ihr zu:
„Ich hoffe, du hast mich nicht blamiert.“
Emily
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