Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
gepurzelt,
hatten sich wohl vor langer Zeit aufgetürmt und einen Platz gefunden. Inzwischen
waren die meisten Felsen mit einer dicken Schicht Moos bedeckt und darauf
wuchsen die Gerippe von Heidelbeersträuchern. Sie kletterte vorsichtig mitten
in das steinerne Meer hinein und suchte sich einen größeren Felsen, auf dem sie
sitzen konnte. Das weiche Moos war noch ein wenig feucht, aber weich, und sie
strich mit der Hand darüber, während das Moos zurückstreichelte.
Das hier war wirklich ein ganz besonderer Ort. So stellte
sie sich Skandinavien vor, das sie allerdings nur aus den Bilderbüchern von
Astrid Lindgren kannte. Es wuchsen hier erstaunlich viele Birken, deren Blätter
das Licht auffingen und mit ihm spielten. In der Ferne konnte sie das Neckartal
sehen, auch ein altes Kloster auf dem Berghang gegenüber. Sie musste dringend
nachschauen, was es damit auf sich hatte. Sie ließ sich nach hinten sinken, so
dass sie ein Stück Himmel sah, auf dem flauschige Wolken dahintrieben.
Plötzlich war es ihr, als wenn die Felsen selbst zu treiben schienen, so dass
sie ein wenig gewiegt wurde, sich aber ganz getragen fühlte. Sie schloss die
Augen und ließ sich umfangen von dem Geruch frischer Erde und würzigem
Moosduft. Eine Fliege summte an ihrer Nase, doch sie störte sie nicht, denn
alles war prima.
Da rauschte und surrte es von rechts, zwei Mountainbiker standen
auf den Pedalen und hüpften den Steinplattenweg hinunter, so dass sie die Luft
anhielt, um zu verhindern, dass etwas passierte. Langsam stand sie auf, klopfte
die Nadeln und Moosfasern von ihren Kleidern, ließ vorsichtig ihre verspannten
Schultern kreisen und wandte sich zum Gehen. Sie war sich sicher, dass sie
hierher zurückkehren würde und verabschiedete sich fast ein wenig ehrfürchtig
von diesem magischen Ort.
Wie spät es wohl war? Ihrem knurrenden Magen nach zu
urteilen, war die Mittagszeit längst vorüber. Sie genoss das satte Grün des
Waldes nach der langen, kargen Winterzeit aus vollen Zügen und pfiff vor sich
hin. Da hörte sie eine andere Melodie, ebenfalls gepfiffen, die sich mit ihrer
eigenen vereinigte. Und als sie um die nächste Biegung trat, sah sie ihn. Sie
erkannte ihn fast sofort, den jungen Stadtführer.
„Hallo Emily“, sagte er fröhlich und sie meinte schon wieder
eine Sternschnuppe in seinem linken Auge blitzen zu sehen. „Was machst du denn
hier im Walde?“
„Das könnte ich dich fragen.“
„Doch ich frug zuerst“, parierte er.
„Also dann, ich weilte im Meer der Felsen.“
„Daselbst will ich hin“, entgegnete er überrascht. Warum sie
immer so geschwollen daherreden mussten?
„Und, wie gefällt es dir?“ durchbrach sie das Muster, bevor
es anstrengend wurde.
„Es ist einer meiner Geheimplätze in Heidelberg. Es ist
wirklich traumhaft.“
Sie nickte. Irgendwas an ihm war anders. Ach ja, er trug
normale Kleider und er hatte seinen Haarfilz geschnitten. Schon kamen die
ersten Löckchen wieder durch, obwohl die Haare kaum einen Zentimeter Länge
hatten.
Er fing ihren Blick auf. Verlegen sagte er: „Das wäre dann
wohl doch etwas warm geworden im Sommer.“ Ebenso verlegen nickte sie. „Und,
hast du dich schon beworben, Frau Kollegin?“, neckte er sie mit einem
neugierigen Funkeln in den Augen. Bevor sie antworten konnte, sah sie eine
Bewegung auf seiner Schulter, da saß plötzlich ein kleines Tier, es richtete
sich auf und putzte die Schnurrbarthaare. Es sah fast aus wie ein Eichhörnchen,
hatte aber mehr Streifen.
„Halt still“, zischte sie, „das gibt’s ja gar nicht, ist das
süß. Ich hätte nie gedacht, dass sie so zutraulich sind.“
„Darf ich vorstellen, Hermine, das ist Emily“, sagte er
verschmitzt.
Oh nein, dachte Emily, natürlich! Es war sein Tier – und sie
hatte gedacht ... Oder eben zu wenig gedacht, wie auch immer, verschämt sagte
sie: „Hallo, Hermine.“
Dann gingen ihnen plötzlich die Worte aus, und nachdem sie
ein wenig von einem Fuß auf den anderen getreten war, verabschiedete sich
Emily. „Ich gehe dann mal weiter“.
„Wir sehen uns“, sagte er herzlich und lief mit großen
Schritten und seiner kleinen Freundin auf der Schulter davon.
„Nein, Ruth, das regt mich richtig auf.“ Emily bereute
längst, Ruth am Telefon von ihrer Verliebtheit erzählt zu haben. Ruth war
manchmal sowas von konservativ. Inzwischen hatte Emily es sich wenigstens
eingestehen können: Ja, sie war verliebt. Verliebt in einen Unbekannten.
„Schließlich ist es kein
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