Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
Exemplare. Sie schaute
ihn neugierig an und er wurde rot. Betont zackig stand er auf und holte die
Texte.
„Nun, was haben wir denn da Schönes?“, fragte Emily. „Ach,
den guten alten Popper, war das nicht auch der mit dem Positivismus-Streit, der
dann aus lauter Frust Mr. Proper erfunden hat?“ Beeindruckt sahen drei
Augenpaare zu ihr hin. Da prustete sie heraus: „Reingefallen.“ Leider stand
Herr Monte gerade in der Nähe und schien ihre kleine Inszenierung mitverfolgt
zu haben. Er schüttelte den Kopf, aber es spielte doch ein minimales Lächeln um
seine Mundwinkel.
Und dann kam der nächste Samstag. Als Emilys Wecker um 5.20
Uhr klingelte, wälzte sie sich fluchend aus dem Bett, fiel über eine
Weinflasche, die sie am Abend zuvor auf dem Boden abgestellt hatte, die war
Gott sei dank leer. Sie entschied sich, doch zu duschen, weil sie sonst gar
nicht wach würde, die Gefahr in Kauf nehmend, dass sie damit Thorsten wecken
würde. Er hatte ihr schließlich auch genug schlaflose Stunden bereitet.
Neuerdings schien er aber eine feste Freundin zu haben, die sah nett aus mit
ihren dunklen Wuschelhaaren und dem breiten Grinsen.
Neue Klamotten sollte sie wohl auch mit in die Dusche
nehmen. Schnell huschte sie nackt in ihr Zimmer zurück, um ein paar Kleider zu
greifen. Sie würde sowieso Arbeitskleidung bekommen, erinnerte sie sich, das
war ihr auch angenehmer. Sie wollte gar nicht daran denken, wie viele Bakterien
sich in einem Altenheim tummelten und Tag für Tag fröhlich vermehrten.
Die Uhr der Providenzkirche schlug gerade sechs, als sie ihr
Fahrrad im Innenhof abschloss. Sie atmete zweimal tief aus, dachte an ihr
Bankkonto, das bereits eine verdächtige Schieflage zwischen Soll und Haben
aufwies, und stieg die Treppe in den ersten Stock zum Schwesternzimmer, oder
sagte man da Altenpflegerinnenzimmer? Dort erwartete sie ein hochgewachsener
Pfleger mit buschigen Augenbrauen und einer schmalen Nase, dem die
Arbeitskleidung um die dünnen Gliedmaßen schlotterte.
„Du musst Emily sein, ich hoffe, es ist ok, wenn ich du
sage? Alle hier nennen mich Bohni, also darfst du das gerne auch. Guck mal, was
hier gerade für dich abgegeben wurde.“ Er überreichte Emily einen
quietschbunten Strauß mit einem kleinen Kärtchen dran. Emily nahm ihn
verwundert entgegen und las die ordentlich geschriebenen Worte:
Einen guten
Arbeitsanfang wünscht Dir Gabriel.
Uff, da beschlich sie ein ganz sonderbares Gefühl in der
Magengrube. Er hatte sich morgens um sechs aufgemacht, um ihr Blumen zu
bringen?
„Du freust dich ja gar nicht?“, fragte Bohni.
„Doch, na ja, nicht so richtig“, stammelte Emily. Es war wohl
an der Zeit, dass sie ihre Freundlichkeit gegenüber Gabriel ein wenig
zurücknahm, damit er nicht auf falsche Gedanken kam.
„Komm, ich zeig dir,
womit du anfangen kannst.“ Bohni stapfte, auch noch ein wenig
verschlafen, voraus. „Wir sind heute Morgen alleine, weil Edith krank ist, aber
wir werden das schon schaffen. Er klopfte an ein Zimmer. „Hier wohnt Herr
Bressel, er ist bettlägerig, du nimmst dir hier eine Waschschüssel und wäscht
ihn, dann kommst du nach nebenan. Keine Angst, er beißt nicht“, sagte er
lächelnd und drückte Herrn Bressel die Schulter. „Immer schön von oben nach
unten, gell, und den Schniedel nicht vergessen“, grinste er.
Ha, ha, sehr witzig. Sie
nahm sich die Waschschüssel und einen Waschhandschuh vom Wagen und
näherte sich vorsichtig dem Bett. „Guten Morgen, Herr Bressel, ich heiße Emily
und ich wasche sie heute.“ Das hörte sich doch professionell an wie eine
Stewardess. Herr Bressel nickte kaum merklich, sein Unterkiefer war weit
eingesunken und er atmete pfeifend. „Dann wollen wir mal mit Ihrem Gesicht
anfangen.“ Oh nein, sie redete schon wie so eine Fernsehkrankenschwester, nur
dass die natürlich nie ‚schön von oben nach unten waschen’, sondern maximal den
Blutdruck messen. Sie begann vorsichtig das Gesicht des alten Herrn zu waschen.
Ob wohl von ihr erwartet wurde, dass sie Smalltalk machte neben der Arbeit? Sie
beschloss, sich erst auf das eine zu konzentrieren, schließlich war sie blutige
Anfängerin. Rasiert müsste der Gute wohl auch werden, das konnte sie doch
gleich mitmachen. Suchend sah sie sich um. Nein, erst einmal fertig waschen.
Sie zog vorsichtig die Decke runter. „Schön still halten“, hörte sie sich
sagen, hoffentlich verstand er das nicht als höhnische Bemerkung, denn er hatte
sich bisher noch nicht geregt, außer
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