Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
sie.
„Und, wie gefällt dir die Arbeit im Altenheim?“, fragte er
prüfend.
„Ich war ja erst einmal da, aber ganz ok.“
„Ich finde es toll, dass du alten Menschen deine Zeit
widmest.“
„Für mich ist es ein Job zum Geldverdienen“, erwiderte sie
ehrlich.
„Nein, du musst nicht so bescheiden sein, das würde nicht
jeder tun.“ Er schien sie ganz schön auf einen Sockel gestellt zu haben.
„Gabriel, ich muss weiter, mach’s gut.“
Er druckste ein wenig herum. „Ähm, Emily, hättest du
vielleicht Lust mit mir einen Kaffee trinken zu gehen?“ Sie verstand ihn
absichtlich falsch.
„Klar, wir treffen uns dann nächsten Dienstag in der Mensa
und trinken einen Kaffee zusammen, tschüss, Gabriel“. Jetzt wollte sie ihn lieber
nicht anschauen, um nicht sein enttäuschtes Gesicht mit den warmherzigen
braunen Augen sehen zu müssen. Er trat einen Schritt zur Seite, sie hob noch
einmal die Hand, stieg auf und fuhr schnell die Fußgängerzone entlang. Auch
wenn das teuer werden konnte, war ihr Fluchtimpuls jetzt gerade ausgeprägter.
Emily wusste nicht so recht, wie sie ihre Eltern begrüßen
sollte, früher hätte sie sie selbstverständlich umarmt, aber seitdem sie aus
Hamburg weggezogen war?
Beide standen in der
Haustür ihres etwas in die Jahre gekommenen Reihenhäuschens in Hamburg-Harburg.
Ihre Mutter stützte sich auf Emilys Vater. Emily erschrak. Hatte sie in den
letzten Monaten irgendetwas Wesentliches verpasst? Sicher, ihre Eltern hatten
sich auch nicht gemeldet, aber sie war so mit sich und ihrem neuen Leben
beschäftigt gewesen, dass sie nur selten angerufen hatte.
„Hallo Mama, hallo
Papa“, versuchte sie es freundlich, „schön, mal wieder da zu sein. “
Ihr Vater gab ihr die Hand, ihre Mutter umarmte sie etwas
unbeholfen mit dem freien Arm. „Komm doch rein, du bist sicher müde nach der
langen Fahrt.“ Und sie trat ein, roch den vertrauten Geruch ihrer Kindheit nach
Sauberkeit und Grünkohl. Sie setzten sich ganz gesittet auf die grüne
Wohnzimmer-Veloursgarnitur als wäre sie fremder Besuch.
„Mama, was hast du denn gemacht?“, stürmte Emily voran und
hörte selbst, dass es eher vorwurfsvoll als anteilnehmend klang.
„Deine Mutter hat Osteoporose im fortgeschrittenen Stadium
und da brechen nun ab und zu Knochen“, sprach ihr Vater, der schon immer gerne
für seine Frau geredet hatte, wenn es um Fachliches ging.
„Ja, Kind, es hat sich viel getan, seit du weggegangen bist,
was du nicht weißt, aber vielleicht auch nicht wissen wolltest, weil du dich ja
kaum gemeldet hast.“ Emily schluckte ihren Ärger hinunter wie eine zu fette
Kröte und musste prompt aufstoßen. „Dein Vater hat seine Praxis aufgegeben, um
sich mehr um den Haushalt zu kümmern, weil ich nun nicht mehr alles machen
kann.“ Nun blieb Emily doch der Mund offen stehen. Ihr Vater ohne seine
geliebte Arbeit als psychologischer Psychotherapeut? Sie sah zu ihm hinüber. Er
streichelte immer wieder den Stoff der Couch gegen den Strich, so dass sich
Muster abzeichneten.
„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, stammelte sie,
„aber ich hätte doch gerne gewusst, was bei euch los ist, auch wenn ich jetzt
in Heidelberg bin.“
„Wir wollten dich nicht stören“, sagte ihre Mutter und
blickte aus dem Fenster auf den Apfelbaum, der dieses Jahr prächtige Früchte
entwickelte.
„Ihr stört mich doch nicht“, entgegnete Emily und wusste im
selben Moment nicht, ob sie die Wahrheit sprach. „Jetzt erzählt doch von vorne:
Wie lange wisst ihr das schon mit Mamas Krankheit und wann hast du beschlossen,
nicht mehr zu arbeiten?“
„Ich arbeite noch“, entgegnete ihr Vater betont würdevoll, „nur eben nicht mehr therapeutisch. Ich schreibe
Zeitungsbeiträge, habe sogar neulich ein Interview gegeben.“ Emily nickte
anerkennend. „Seit zwei Jahren ist die Krankheit bei Mutter diagnostiziert, du
erinnerst dich vielleicht noch, als sie sich den Arm gebrochen hatte an
Pfingsten. Damals haben wir sie auch durch Freds Erkrankung nicht so ernst
genommen. Und wir dachten noch, wir könnten den Fortschritt durch richtige
Ernährung und Bewegung aufhalten, aber es sieht nicht danach aus.
„Tut das weh, Mama?“
„Nein, so lange ich mir nichts breche, zum Glück nicht. Aber
es ist lästig, so vorsichtig sein zu müssen. Du weißt ja, ich packe die Dinge
gerne an. Und jetzt muss ich oft zusehen, wie das dein Vater macht, das liegt
mir gar nicht.“ Emily konnte sich das Konfliktpotential zwischen
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