Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
abgeholt. Dann biss sie sich
in den Handballen vor Ärger, dass sie so zögerlich gewesen war.
Da der Abend so lau und ihre Sehnsucht nach körperlicher
Nähe nicht gerade weniger geworden war nach der leibhaftigen Begegnung mit
Josue, beschloss sie, zu Fuß nach Hause zu gehen.
Bis auf den abgebrochenen Schluss war es doch gar nicht so
schlecht gelaufen, dachte sie und versuchte sich selbst zu trösten. Er schien
sie zumindest nicht völlig blöde zu finden trotz ihres sonderbaren Benehmens
bei den zufälligen Begegnungen. Immer wieder hatte er sie mit unverhohlener
Aufmerksamkeit angesehen, sie hatte auch einen Blick auf ihre Figur
aufgefangen, in einem Moment, in dem er sich unbeobachtet fühlte. Tja, und
jetzt? Also, Emily, es gibt nichts, vor dem du Reißaus nehmen müsstest. Du
darfst nach wie vor verliebt sein und vielleicht jetzt erst recht,
beschwichtigte sie ihr aufgeregtes Inneres. Doch so lange sie nicht auf
Gegenliebe stieß, konnte der kleine Vogel noch nicht freigelassen werden, und
deswegen ließ er gerade traurig seinen Kopf hängen. Emily schlenderte durch die
Plöck, nahm intensiv jedes Paar wahr, das ihr begegnete, und dachte darüber
nach, ob sie wohl glücklich waren.
Später am Abend telefonierte sie mit Clara und erzählte ihr
haarklein von der Begegnung. Die riet ihr davon ab, selbst etwas zu
unternehmen, da Männer ja bekannterweise ihrem Jagdinstinkt folgen müssten.
Emily hätte den Köder ausgelegt, jetzt müsse sie aber darauf warten, dass er
den nächsten Schritt tat, wenn er Interesse an ihr hatte. Emily schüttelte sich
und fühlte sich reichlich unwohl in der Rolle des Köders, der darauf wartete,
verschluckt zu werden. Aber sie wusste auch, dass Clara recht hatte und so
stellte sie sich seufzend auf eine Wartezeit ein. Annas Hochzeitstermin war in
zwei Wochen, ob das wohl noch klappen würde? Emily würde natürlich hinfahren,
aber sie wäre doch lieber die würdige Trauzeugin, Brautjungfer und wie das
nicht alles hieß geworden statt die partnerlose Freundin, die nur als Zaungast
anwesend wäre.
Die nächste Woche zog
sich so zäh wie der Hefeteig, den sie gerade vor lauter Langeweile knetete.
Vorhin hatte sie wieder eine Nachhilfestunde bei Herrn Hirzel gehabt. Aber es
ging nicht richtig voran. Sie konnte sich einfach nicht konzentrieren, weil sie
in Gedanken so mit Josue, seinen Lippen, seinen Haaren und seinen Händen
beschäftigt war. Sie hatte auf die Kopien auf dem kleinen Tischchen im Zimmer
von Herrn Hirzel geschaut, als wären die Buchstaben kleine, tanzende
Teufelchen, die sich sofort davon machten, wenn sie ein paar von ihnen zu
erwischen versuchte.
„Frau Neumann, wo sind Sie heute nur mit ihren Gedanken?“
„Vielleicht brauche ich doch eine Brille, ich kann heute
diese Texte gar nicht lesen“, entgegnete sie beschämt.
„Vielleicht brauchen Sie auch etwas anderes oder jemand
anderes? Sie scheinen mir die untrüglichen Symptome der Verliebtheit
aufzuweisen.“
Da nickte sie nur hilflos. Er schob mit seinen zittrigen
Händen vorsichtig die über den Tisch verstreuten Kopien zusammen. „Dann geht
das wohl heute vor. Sie wissen, ich liebe die Soziologie. Aber gegen die Liebe
kommt selbst sie nicht an. Nun gehen Sie schon, mein Fräulein, und machen Sie
sich auf den Weg zu Ihrem Liebsten“, schloss er mit einer pathetischen Geste in
die Luft.
Emily blieb sitzen und merkte, wie ihr die Tränen kamen.
Immerhin, sie war schon einige Wochen trocken gewesen, da durfte sie vielleicht
mal wieder weinen.
„Er ist noch nicht Ihr Liebster“, schloss Herr Hirzel
messerscharf. „Dann sollte er sich beeilen, das zu werden, sonst schicken Sie
ihn zu mir, damit ich ihm erzählen kann, was für ein Goldschätzchen er sonst
verpassen würde.“ Und er tätschelte ihr vorsichtig die Wange. Jetzt schluchzte
Emily, allerdings vor Rührung, und stand auf, machte einen kleinen Knicks vor
Herrn Hirzel.
„Sie sind so unglaublich nett zu mir, ich weiß wirklich
nicht, womit ich das verdient habe. Es tut mir leid, aber es hat heute wirklich
keinen Sinn mit mir. Wir sehen uns am Wochenende und dann weiß ich vielleicht
mehr in Sachen Liebe.“
„Vielleicht gilt das Gleiche für die Liebe, was mir einmal
ein amerikanischer Kollege über die Schwangerschaft gesagt hat: Es braucht neun
Monate, egal wie viel Leute auf den Job angesetzt werden. Also, Geduld meine
Liebe.“
Emily packte ihre Sachen und machte sich auf den Weg nach
Hause. Vorher schaute sie aber noch kurz im
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