Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
besser, sie musste aber doch noch
fragen: „Und du bringst etwas mehr Zeit mit, ja?“
Er nickte schuldbewusst. „Ja, so viel Zeit du magst.“ Da
lächelte sie wieder. Sie stand auf, um ihn gehen zu lassen. Er gab ihr förmlich
die Hand. Sie war enttäuscht, denn sie hatte sich schon auf das Küsschen
gefreut. Dann nickte er Camilla zu, die ihm huldvoll zuwinkte, und verschwand
die Treppe hinunter. Emily blieb mit ihrem lauwarmen Chai noch ein wenig sitzen
und beschloss, sich nicht aufzuregen. Sicher wollte er nicht, dass Camilla
Gerüchte verbreitete, sie schien ja ganz schön neugierig zu sein. Für Emily
waren Musiker und Musikerinnen bisher eher körperlose, ätherische Wesen, die
über alle menschlichen Unzulänglichkeiten erhaben waren, aber das war ja ihr
Denkfehler, mahnte sie sich, dafür konnte die wunderschöne und talentierte Frau
einige Meter weiter ja nichts. Sie rührte in ihrem grauen Milchschaum und
wusste nicht, was sie von der Beziehung zu Josue halten sollte, nachdem sie
merkte, dass er das Bezahlen wie selbstverständlich ihr überlassen hatte. Alles
war so wechselhaft, aber als sie sich daran erinnerte, wie er den Arm um sie
gelegt hatte, vergaß sie sofort ihre Bedenken und gab sich wieder ihren
Tagträumen einer schönen Zukunft hin. Sie sah sich mit ihm und den Kindern im
Wald spazieren, sie beide Hand in Hand, Lizzy auf der einen Seite bei ihrem
Papa, Flo auf ihrer Seite. Sie lachten über einen Witz, den Josue gemacht
hatte, und die grünen Papageien flogen in den Baumwipfeln und freuten sich mit
ihnen.
10
Der verlassene Sommer, ein sonderbares
Bewerbungsgespräch und heiße Küsse
Die Zeit tröpfelte wie aus einem austrocknenden
Brunnen. Es war heiß in Heidelberg. Alle bekannten Gesichter schienen entweder
aus der Stadt verschwunden oder selbst so mit ihrem Leben beschäftigt zu sein,
dass sie sich zurückgezogen hatten. Emily versuchte aus Ruth herauszubekommen,
wie die Lage mit Gabriel war, aber sie antwortete so einsilbig, dass Emily nach
einer Weile frustriert aufgab. Clara war von der Bildfläche verschwunden, ohne
ihr mitzuteilen, wie die Aussprache mit Max ausgegangen war. Also, dachte Emily
trotzig, kümmere ich mich eben um mein Leben. Samstagnachmittag nach der Arbeit
im Altenheim nahm sie sich ihre Lieblingsbücher über Heidelberg und setzte sich
in den Schatten unter die Linde an der
Peterskirche, um endlich einen neuen Versuch zu machen, den pfälzischen
Erbfolgekrieg zu verstehen.
Nach einer Weile klappte sie betroffen ihr Notizbuch zu. Das
reichte für heute. Sie sah sich um. In der friedlichen
Spätnachmittagsatmosphäre konnte man kaum glauben, dass damals solche
Grausamkeiten hier an der Tagesordnung gewesen waren. Sie bekam eine Gänsehaut,
so dass sie aufstand und ihr Fahrrad langsam durch die Sonne nach Hause schob.
Sie lief vorbei am Faulen Pelz und hörte Gejohle aus dem Hof des Heidelberger
Gefängnisses, das mit hohen Stacheldrahtzäunen gesichert war. Schnell ging sie
weiter. Auch heute gab es hier also nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen,
dachte sie.
Zuhause angekommen, duschte sie gründlich und heiß, um die
Beklommenheit abzuspülen und wieder in bessere Stimmung zu kommen für ihr
anstehendes Date mit Josue. Sorgfältig wählte sie ihre Garderobe aus. Da sie
nicht so viele bessere Stücke ihr Eigen nannte, musste sie langsam
improvisieren. Sie zog eine der noch nicht so zerschlissenen Jeans an, ein
weißes Top und darüber eine hauchzarte, langärmlige Bluse im Hippiestil, nur
eleganter, von der sie wusste, dass sie ihr gut stand. Sie föhnte ihre Haare
über die Rundbürste, schminkte sich sorgfältig und trug einen Hauch ihres
teuren Parfums auf. Bedauernd sah sie, dass die kleine Flasche zur Neige ging.
Sie müsste dringend einkaufen gehen. In Hamburg so ganz alleine war sie nicht
so recht in Stimmung gewesen.
Da sie noch eine Stunde Zeit hatte und sich dringend
ablenken musste, um ihre Aufregung in den Griff zu bekommen, ergriff sie die
Gelegenheit, setzte sich an ihren Tisch und machte Kassensturz. Sie holte ihre
Kontoauszüge aus dem Pappkarton, in die sie sie immer warf, öffnete den
Taschenrechner auf ihrem Handy und rechnete und rechnete. Wenn sie wirklich
bescheiden lebte wie während des Semesters, in der Mensa aß und ansonsten ab
und zu selbst kochte, kam sie mit den Einnahmen vom Altenheim gerade über die
Runden. Zusätzliche Ausgaben wie die Bahnfahrt nach Hamburg musste sie dann von
ihren Ersparnissen
Weitere Kostenlose Bücher