Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
die
Bettenmachrunde erledigt und vermutlich hatte Emily sich da angesteckt. Das
musste ein fieser Virus sein, wenn er so schnell ausbrach. Sie schlang die
Bettdecke mehrfach um ihre Füße, die trotzdem noch kalt waren, auch wenn ihr
ganzer Oberkörper glühte. Eine Wärmflasche für die Füße wäre schön, seufzte
sie. Aber der Weg in die Küche war zu weit. Sie richtete sich halb auf und
nippte an dem inzwischen lauwarm gewordenen Erkältungstee. Dann plumpste sie
wieder erschöpft ins Bett zurück.
In letzter Zeit hatte sie öfter mit den Kindern und Josue zu
Abend gegessen und geholfen, die beiden ins Bett zu bringen. Sie hatten jeder
ein eigenes Zimmer und oft lief es darauf hinaus, dass Emily Flo ins Bett
brachte, der abends nochmal so richtig aufdrehte und über Tisch und Bänke
tobte. Das schien Josue, der auch fix und fertig von der Arbeit kam, stark zu
nerven, so dass er oft ungeduldig oder sogar laut mit ihm umsprang, also hatte
Emily sich seiner angenommen. Sie mochte seine direkte und kraftvolle Art, die
Welt zu erobern, und lockte ihn mit einer Geschichte zum Zähneputzen und mit
einer anderen Geschichte ins Bett. Er sah so putzig aus, wie er mit seinem
abgeknuddelten Elefanten im Arm und den speckigen Ärmchen über der Bettdecke
gespannt zuhörte, obwohl ihm ab und zu ein Auge zufiel. Josue kümmerte sich
derweil um Lizzy. Manchmal spielten sie noch ein bisschen zweistimmig Geige und
Cello, manchmal saß sie einfach auf seinem Schoß und erzählte leise von ihrem
Tag. Wenn Emily an der halboffenen Zimmertür vorbeikam, war sie neidisch, weil
die beiden so eine selbstverständliche Vertrautheit hatten, die ihr und Josue
noch fehlte.
Später setzten sich Josue und sie noch nebeneinander ins Wohnzimmer
und kuschelten auf der elfenbeinfarbenen Glattledergarnitur, die Emily immer
einige Grad zu kalt vorkam. Sie tranken Wein und plauderten. Sonst legte Josue
manchmal eine CD ein und erzählte Emily etwas über die Musik oder den
Komponisten. Aber an dem Abend hatte Emily ihn gebeten, ihr endlich einmal
etwas vorzuspielen. Sie konnte sehen, wie er erst zögerte. Doch dann holte er
sein Cello aus dem Schlafzimmer, hängte das Brett in einem Stuhlbein ein und
begann auswendig zu spielen. Sie schloss die Augen. Die Töne glitten zart an
ihren Schultern herab und hüllten sie ein in ein nachtblaues Gewand. Mit diesem
Gewand fühlte sie sich stark genug, ihn anzuschauen. Er hielt ihren Blick fest
und zum ersten Mal konnte Emily eine Brücke zwischen ihnen spüren, die tiefer
und zugleich höher reichte, als sie das bisher für möglich gehalten hatte.
Als es dann auf zehn Uhr
zuging, wurde Josue unruhig. Er bat Emily, nach Haus zu fahren, weil er
schrecklich erschöpft sei vom Tag. Sie hatte schweren Herzens Folge geleistet
aus Respekt vor ihm und seiner Doppelbelastung. Vor etwa zehn Tagen hatte sie ihn
aber darauf angesprochen, dass sie auch gerne bei ihm übernachten würde. Er
hatte sie mit diesem nachdenklichen Blick von der Seite angesehen und sie
später nicht nach Hause geschickt. Emily war gar nicht darauf vorbereitet
gewesen, dass nun vielleicht die Nacht der Nächte kommen könnte, aber sie hatte
sich gefreut und war mit einem seiner T-Shirts bekleidet zu ihm ins Bett
gekrochen. Er hatte sich an sie geschmiegt, sie ein bisschen geküsst und ihr
nach einer Weile gute Nacht gewünscht.
Emily lag wie erstarrt mit offenen Augen neben ihm und
fragte sich, was sie falsch gemacht hatte, während sie seinen tiefer werdenden
Atemzügen lauschte und den leichten Weichspülerduft der Bettwäsche wahrnahm.
Sie hatte genau gemerkt, dass sich bei ihm kein Lebenszeichen seiner
Männlichkeit geregt hatte, während sie in froher Erwartung nach langer
Enthaltsamkeit sich schon ganz offen und weich gefühlt hatte. War das normal in
fortgeschrittenem Alter und wenn man gestresst war? Aber so alt war Josue jetzt
auch noch nicht. Bisher hatte sie immer den Eindruck gehabt, dass die Männer,
mit denen sie im Bett war, eher ständig Sex hätten haben können. Vielleicht
musste sie ihm deutlicher signalisieren, dass sie bereit war. Denn
möglicherweise war es nur falsch verstandene Rücksichtnahme? Aber tief in ihrem
Inneren wusste sie, dass es das nicht war.
Sie wälzte sich fiebernass auf die andere Seite und merkte,
wie einige heiße Tränen auf ihr Kissen tropften. Er fand sie vermutlich nicht
attraktiv genug im Vergleich zu seiner Frau, der „englischen Rose“. Aber auch
das sah sie tagsüber nicht bestätigt.
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