Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
Popo?“ Jetzt ging’s aber zur Sache.
„Nein, habe ich nicht“.
„Jetzt weiß ich’s.“ Er zeigte nach unten zu den
Futternäpfen. „Sie müssen so viel Paprika essen.“
„Vielleicht? Wir könnten ihnen ja grüne Paprika geben,
vielleicht bekommen sie dann grüne Popos?“, scherzte Emily.
„Au ja, und blaue und gelbe. Das nächste Mal nehmen wir ganz
viel mit, versprochen?“
Emily führte ihn zu einem kleinen Schild. „Guck mal, was da
steht“ Flo schubste sie ein Stück zur Seite und fuhr mit dem Finger an den
Buchstaben entlang. „Bit-te nicht füt-tern.“ Emily war platt. Sie hatte noch
nie ein Kind kennengelernt, das mit vier Jahren lesen konnte. Sie ging in die
Hocke, schaute Flo ernst an und fragte: „Wieso kannst du denn lesen?“
„Lizzy hat’s mir beigebracht. Sie will Lehrerin werden und
an mir hat sie’s ausprobiert. Und jetzt denkt sie, dass sie eine gute Lehrerin
wird, weil’s geklappt hat.“
„Ja, das wird sie dann bestimmt.“ Emily wuschelte ihm
beeindruckt durch die schwarzen Locken und dachte nur, in was für eine Familie
sie da hineingeraten war. Vielleicht sollte sie Lizzy mal mit ihren
soziologischen Texten konfrontieren, damit Herr Hirzel nicht so viel Arbeit
hatte.
Flo hatte ihre Hand geschnappt. Seine war ein bisschen
klebrig, aber insgesamt sehr kräftig und männlich. Sie wanderten weiter und
Emily suchte den Eingang zum Raubtierhaus. Vor dem Raubtierhaus stolperte Emily
über einige Plakate mit Tieren, die ihr bekannt vorkamen. Interessiert trat sie
näher. Das waren sie ja, die kleinen Krachmacher vom Bergfriedhof.
Halsbandsittiche hießen sie. Und sie schienen sich pudel- oder sagt man da
vogelwohl zu fühlen in Heidelberg. Seit 1990 brüteten sie auf dem Gelände des
Zoos. Das war aber brav von ihnen, sich gleich im Zoo anzusiedeln. Und sie
galten als Neozoon, eben als eingewanderte Tiere, was wohl auch die ein oder
anderen Probleme mit sich brachte, in die sich Emily jetzt nicht mehr vertiefen
konnte, weil ihr plötzlich auffiel, dass der klebrige Druck an ihrer rechten
Hand fehlte. Sie schaute sich um. Flos schwarze Mähne war nirgendwo zu
entdecken. Er hatte ein rotes Sweatshirt an, das müsste doch auffallen, dachte
sie, während ihr schon typische Thrillerphantasien durch den Kopf gingen. Vierjähriger im Zoo spurlos verschwunden. Sie
begann den Radius ihrer Suche zu vergrößern, ihr Atem beschleunigte sich und
ihre Schritte wurden schneller. Du bist so eine verantwortungslose Freundin,
schimpfte sie mit sich selbst. Kannst nicht mal auf das Wertvollste aufpassen,
das er dir anvertraut hat, wegen so ein paar grüner Papageien! Immer wieder
fragte sie inzwischen ganz aufgelöst einige andere Zoobesucher, ob sie einen
Jungen mit rotem Sweatshirt und schwarzen Locken gesehen hätten, doch die
schüttelten nur bedauernd den Kopf. Da beschloss sie als Nächstes im
Raubtierhaus zu suchen, weil das ja ihr eigentliches Ziel gewesen war, und Gott
sei Dank, da stand er und schaute zwei Kindern zu, die kleine Münzen in die
Spendentonne kreiseln ließen. Er stürzte begeistert auf sie zu.
„Emi, endlich kommst du, kann ich Geld haben?“
Unendlich dankbar schüttete sie ihm als Ablasshandlung das
komplette Münzgeld ihres Geldbeutels in die kleinen Hände, das er mit Genuss
kreiseln ließ. Sie merkte, dass sie zitterte wie ein verfrorenes Erdmännchen.
Ihr wurde plötzlich bewusst, wie schnell es gehen konnte, dass man Kinder in
Gefahr brachte und welche Verantwortung sie trug, wenn sie mit ihnen zusammen
war. Aber auch, welche Verantwortung Josue tagein tagaus trug, so dass manche
seiner Reaktionen für sie verständlicher wurden.
Jetzt würde sie aufpassen wie ein Luchs. Flo schien völlig
furchtlos zu sein selbst vor den größten Raubtieren und wollte sie gerne
streicheln. Wie schnell hätte der wendige Kerl unter einer Absperrung
durchkriechen können? Wenn er auch nicht im Tigerkäfig gelandet wäre, hätte er
doch in einen Wassergraben fallen oder einen Huftritt abbekommen können. Sie
schüttelte sich noch einmal, um dieses Erlebnis abzustreifen, ging vor Flo in
die Hocke und erklärte ihm eindringlich:
„Ich habe eben so einen großen Schreck bekommen, als du
plötzlich weg warst. Wenn du dir irgendwas anschauen willst, sagst du mir dann
Bescheid? Und am besten nimmst du mich einfach an der Hand gleich mit, in
Ordnung?“
Er strahlte sie aus seinen wunderschönen Augen an, die von
langen, schwarzen Wimpern gesäumt waren und nickte fröhlich.
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