Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein Jahr in Andalusien

Titel: Ein Jahr in Andalusien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Frenzel
Vom Netzwerk:
sagt Jaime, als wir die Costa del Sol hinter
uns gelassen haben. Meine Spannung steigt, aber ich bekomme keine weiteren Hinweise aus ihm heraus. Da wir in Richtung Westen fahren, vermute ich, dass
unser Traumstrand in der viel einsameren Nachbarprovinz Cádiz liegt. Der kühle, ständig blasende Wind konnte bisher den großen Urlauberandrang
verhindern. Nach knapp zwei Stunden kommen wir an Gibraltar vorbei, die Nacht senkt sich über die Landschaft. „Die Spannung steigt. Jetzt siehst du erst
morgen früh, wohin ich dich bringe“, freut sich Jaime.
    Als wir schließlich von der Hauptstraße abfahren, geht es noch kurz über eine dunkle Landstraße, dann tauchen ein paar einsame Häuser vor uns auf,
dahinter glitzert das Meer. Kaum haben wir geparkt, geht Jaime zielstrebig aufein kleines Haus zu. Es ist ein einfaches
Restaurant. „Habt ihr noch Fisch?“ „¡Por supuesto! – Natürlich!“ Dass wir um halb elf Uhr noch etwas zu essen wollen, scheint den Kellner nicht zu
wundern – im Gegenteil, er sieht sogar so aus, als würde er sich freuen, dass er noch Gäste bekommt. Jaime bestellt Pulpo Frito, Garnelen, zwei kleine
Doraden, dazu zwei Glas Rotwein. „Hier ist die Welt noch in Ordnung, es gibt keine Hotelanlagen, und die Strände sind noch so schön wie früher“, sagt
Jaime, während er eine Garnele schält. „Glaub das nicht“, fällt ihm der Kellner ins Wort. „In Tarifa bauen sie ständig neue Siedlungen, einen Teil des
Hafens in Algeciras wollen sie zu uns verlegen. Wenn man in die Stadt hineinfährt, sieht man jetzt schon nur noch Hochhäuser.“ Die beiden beginnen über
die Profitgier der Spekulanten herzuziehen, und auch an den Ausländern, die sich überall einkaufen, lassen sie kein gutes Haar. Den Nutzen, den sie
selbst aus dieser Entwicklung ziehen, scheinen sie zu vergessen. Mittlerweile habe ich herausgefunden, dass wir in Bolonia sind, einem kleinen Weiler
rund zehn Kilometer westlich von Tarifa, dem Windsurferparadies von Andalusien. Als wir das Restaurant verlassen, lotst mich Jaime zum Meer, das gleich
vor uns im Mondlicht glitzert. Ich ziehe meine Sandalen aus und lasse meine Füße vom Atlantik umspülen. Eine kühle Brise streift mich, und mit
geschlossenen Augen atme ich die salzige Meeresluft ein.
    Als ich am nächsten Morgen aus dem Bus krabble, empfangen mich das dunkelblaue Meer und ein ellenlanger Sandstrand, der in eine wilde Berglandschaft
eingeklemmt ist. Jaime, anscheinend schon länger wach, blickt mich erwartungsvoll an: „Und? Habe ich dir zu viel versprochen?“ Ich umarme ihn. „Es ist
wunderschön!“ Er nimmt meine Hand und zieht mich zum Strand. Barfuß laufen wir über den weichen, goldgelben Strand. „Schau mal“, sagt er und dreht
meinen Kopf zu ein paar alten Steinen, die im Sandliegen. „Das war mal ein römisches Dorf, Baelo Claudio. Die Siedlung soll sehr
wohlhabend gewesen sein, denn hier wurde die beliebte Fischsauce Garum hergestellt und in das übrige Römische Reich geschickt.“ Ich bin begeistert,
Jaime scheint mich beeindrucken zu wollen, denn normalerweise glänzt er nicht gerade mit seinem Geschichtswissen. Diesen Kulturschatz in der unberührten
Landschaft erkläre ich sofort zu einem meiner andalusischen Lieblingsplätze. Vor meinem inneren Auge sehe ich, wie Fischer in Tuniken mit hölzernen
Kähnen am Strand anlegten, ihren Fang ablieferten und andere die Fische zu der Paste Garum weiterverarbeiteten, die im alten Rom wie Ketchup verwendet
wurde.
    „Komm, lass uns frühstücken“, reißt mich Jaime aus meinen Tagträumen. Seine langen braunen Locken trägt er offen, seine grünen Augen blitzen mich
an. Ich schlage den Weg zu dem Restaurant ein, an dem wir am Abend zuvor gegessen haben, doch Jaime zieht mich zu unserem Bus. „Aber wir wollen doch
frühstücken …“ – „… am Strand“, vollendet er meinen Satz. Er zaubert einen kleinen Gaskocher, eine Espressomaschine, zwei Tassen, Weißbrot, Zucker,
Salz und das in der andalusischen Küche omnipräsente Olivenöl aus dem Inneren des Busses. In Windeseile hat er Kaffee aufgebrüht, das Brot geröstet und
mit Olivenöl begossen. Kauend blicken wir beide aufs Meer, wo weiße Schaumkronen auf den Wellen tanzen. Es ist hier viel kühler als in Málaga, ständig
weht ein leichter Wind. Wir genießen die wärmenden Sonnenstrahlen und hängen unseren Gedanken nach. Es fällt uns nicht leicht, am nächsten Abend
Abschied von Bolonia zu nehmen. Bis die Sonne fast ganz am Horizont

Weitere Kostenlose Bücher