Ein Jahr in Australien
verließen. Immerhin fand ich für den Flohmarktbesuch einen knallgrünen Pullover und weiße Jeans. Dazu zog ich eine gestreifte Mütze über die Ohren, womit ich mir nicht mehr gar so vorkam wie die triste Hanseatin. Denn eigentlich gefiel mir, dass die Frauen sich Mühe gaben, etwas jahreszeitliche Abwechslung ins Bild zu bringen. Die Herren hingegen ignorierten die Temperaturschwankung stur. Sie trugen auch im August, was der australische Mann in seiner Freizeit am liebsten trug: Turnschuhe, Shorts und T-Shirt. Als echtes Zugeständnis an Wind und Kälte kam zur Not ein Sweatshirt in Frage. Wer Surfer war, oder wenigstens so aussehen wollte, stülpte sich ein beanie über den Kopf. Das war’s.
Der Kontrast zwischen männlichem und weiblichem Stil war ohnehin beachtlich, genauer: er ließ mich eines Abends fast vom Barhocker fallen. Ich war mit Christine und ihren – im Vergleich zu Jens Clan – eher konservativ gekleideten Freundinnen und Kolleginnen zum Glas Wein verabredet. Chris holte mich ab: in einer förmlich nadelgestreiften, aber dafür knallengen schwarzen Hose über superspitzen Pumps. Ihre Seidenbluse gewährte so rasante Einblicke ins Dekolletee, dass ich unwillkürlich die Luft durch die Zähne zog. Doch sie sah noch am dezentesten aus. Ich hatte mich gerade von der Erkenntnis erholt, dass ich mal wieder völlig underdressed sein würde, als ihre Freundin Zoe in Seidenstrümpfen und Minirock durch die Schwingtür der Kneipe schwebte. Darüber trug sie ein hellrosa Hemdchen, das selbst ihrer kleinen Schwester zu eng gewesen wäre. Kollegin Sally kam in engen Jeans und einem Top, das oben schulterfrei war und unten eher kurz, damit man ihr Bauchnabelpiercing besser sah. Dazu hatten die zwei Make-up und Schmuck angelegt,als seien wir unterwegs zu einem Cocktail-Empfang beim schönsten Mann der Stadt. Oder wenigstens beim reichsten. Waren wir aber nicht. Wir standen in einer sehr normalen Kneipe in Rose Bay in der üblichen, unvorteilhaften Flughafenhallenbeleuchtung. Und da würden wir voraussichtlich auch bleiben. Alle umstehenden männlichen Kneipenbesucher lehnten in Grüppchen an der riesigen Theke, und zwar hübsch einheitlich in Jeans und weitem Logo-T-Shirt. Und das schienen die Frauen keine Spur seltsam zu finden. So war das eben. Einige Herren hatten sich allerdings regelrecht in Schale geworfen: Sie trugen zur Jeans taillierte Oberhemden, halb offen und mit aufgekrempelten Ärmeln. „Ohne Hemd kommen sie später nicht in die Nachtclubs“, flüsterte mir Chris zu, die meinen peplexen Blicken gefolgt war. Alle Männer tranken Bier, und die meisten redeten etwas lauter als nötig. Ich sah mir die Kerlegruppen, vor allem die offenbar Kontaktwilligen, etwas genauer an und prüfte, ob mein Blick irgendwo hängen blieb. Fehlanzeige, nichts rührte sich, mich reizte da niemand. An den Klamotten lag das nicht, ich sah schließlich auch nicht gerade einfallsreich aus. Ich vermutete, es hatte eher damit zu tun, dass sich die Kerle in ihren Gruppen irgendwie zu kumpelig benahmen, während die Mädels nebenan zu schrill kicherten. Geschlechtertrennung fand ich schon in der Schule albern.
Selbst die wenigen Paare im Pub folgten dem Trend, ähnlichen Geschmack oder Stil um jeden Preis zu vermeiden. Meist sah er so aus, als ging er gleich noch mit seinen Freunden zum Rugby, und sie , als sei dies ihr letzter Versuch in Sachen Speed-Dating. Mars und Venus in Schlabberjeans und Galarobe. Das war alles eine Nummer zu kompliziert für mich. Ich schüttelte den Kopf und zog meinen Rollkragenpulli aus, unter dem Gott sei Dank ein lindgrünes Hemd mit Minimalausschnitt zum Vorschein kam. Dann beschloss ich, der Modepolizei den Rest des Abends frei zu geben,und bestellte eine Flasche Chardonnay für die gut gekleidete Damenrunde.
Den plusterigen Seidenblusen-Look würde ich nie mitmachen, so viel stand fest. Aber meine Garderobe etwas dem hiesigen Stil anzupassen könnte dennoch nicht schaden. Sommerkleid, Shorts und Shirts waren einfach. Aber meine Winterkluft war eindeutig überholungsbedürftig. Ich würde einkaufen gehen müssen. Das Problem war: Shopping gehörte noch nie zu meinen Leidenschaften. Genau genommen gab es nur zwei Dinge, die ich mehr hasste: Zahnarzttermine und Steuererklärungen. Also beschloss ich, das Notwendige mit dem Angenehmen zu verbinden. Ich würde mich selbst überlisten und das Projekt nicht „Einkaufen“ nennen. Ich erweiterte einfach meinen geplanten Besuch in der Art
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