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Ein Jahr in Australien

Titel: Ein Jahr in Australien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julica Jungehuelsing
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wanderte an einem der Wolkenkratzer der Innenstadt vor mir hoch. Da oben saßen sie und prüften Bilanzen oder Aktienkurse oder machten heimlich Computerspiele. Ob sie sich wohl unterdessen an dem Blick über Stadt und Hafen sattgesehen hatten?
    Mich faszinierte er nach wie vor. „Aber all diese alten Städte, die du aus Europa kennst, die müssen doch viel schöner sein, viel …“, Chris, die ich zur Mittagspause ins mondäne „Lindt Café“ gelockt hatte, suchte nach den richtigenWorten. „Genau: kulturell wertvoller meine ich, älter und vornehmer irgendwie.“ Wir rührten in unserer heißen Schokolade und naschten vornehme, hauchdünne Kekse. „Das hier“, sagte sie mit einem Blick durch die raumhohen Fenster, „ist doch alles so glatt, so neu.“ Das stimmte schon, der Martin Place war kein Boulevard Saint Germain. Aber mir gefiel, dass diese Innenstadt oft wie eine Schichttorte wirkte, in der sich Stile und Epochen unkonventionell übereinanderschoben. Stolz standen da viktorianische Prachtbauten wie die Town Hall mit ihren Löwenköpfen, die alte Synagoge oder die Arkade „The Strand“ mit ihren gusseisernen Geländern und farbigem Glas. Und darüber reckte sich die Moderne gen Himmel: der monströse Governor Phillip Tower und das achteckige MLC Centre aus Beton, das böse Zungen als „höchstes Parkhaus der Stadt“ verspotteten. Nicht weit davon standen der runde Australia Square und natürlich der Fernsehturm. Der Sydney Tower überragte mit seinen gut 300 Metern alles. Chris war wieder im Büro, und ich verkniff mir die touristische Laune, per Lift hoch in den Tower zu fahren, um dann von oben wieder runterzugucken. Schließlich war ich nicht zum Vergnügen hier. Stattdessen schlenderte ich durch das Queen Victoria Building, die reich verzierte Markthalle von einst, die zu einer edlen Ladengalerie restauriert worden war. Seltsamerweise rief mir nichts „Kauf mich, kauf mich!“ durch die Fenster entgegen. Wer weiß, vielleicht würde das ja später in Paddington oder in der Oxford Street passieren. Es war so ein klarer frischer Nachmittag, und mir war einfach mehr nach Schlendern und Gucken als nach Kaufen zumute.
    In Sydney hatte in den 60er Jahren ein Alles-muss-neu-Abrisswahn gewütet. Aber einige ältere Bauten, die an die Anfänge der Kolonie erinnerten, waren zum Glück verschont geblieben. Vor allem in der Macquarie Street, dem historischen „Boulevard“ zwischen Oper und Hyde Park. Früher wardie Straße ein Fußweg durchs Dickicht, heute steckte sie voller Anekdoten zur Stadtgeschichte. Am nördlichen Ende stand mein Lieblingsgebäude, die Hyde Park Baracks, ein klarer georgianischer Ziegelsteinbau, in dem diverse Sträflingsgenerationen gehaust hatten. Entworfen hatte ihn Francis Greenway, ein wegen Falschmünzerei aus England verbannter Architekt, der in Australien offenbar besser klarkam: Er wurde Sydneys erster Stadtplaner und zierte zeitweilig sogar einen 10-Dollar-Schein. Keine üble Karriere für einen Geldfälscher. Auch am südlichen Rand der Macquarie Street war noch ein Bau jenes Herrn erhalten. Ein zinnenbestücktes Schlösschen, in dem der Gouverneur seine Pferde unterbringen wollte. „Zu pompös für Macquaries Gäule“, fand die englische Obrigkeit und ordnete an, die Ställe zum Konservatorium umzubauen. Das schien es nach wie vor zu sein, denn Plakate an der Tür luden zu Gratiskonzerten der Studenten ein. Ich schlenderte zurück Richtung Hyde Park, vorbei am Parlament und dem Münz-Museum mit ihren zweistöckigen Veranden. Dazwischen standen Reste des einstigen „Rum Hospitals“, das immer noch ein Krankenhaus war. Seinen Namen verdankte es laut Legende der Tatsache, dass die Bauarbeiter 1814 nicht mit barer Münze, sondern mit Rum entlohnt wurden. So sorgten sie vermutlich nebenbei dafür, dass die Patienten nicht ausblieben. Ein kurioses Kleinod am Gouverneurs-Boulevard hätte ich fast übersehen. Gegenüber der pompösen Staatsbibliothek stand ein Hochhaus aus den 30ern, vor dem ich nur wegen der blanken Kacheln stehen blieb: die British Medical Association, deren Fassade glänzte, als würde sie jeden Morgen von Hand poliert. Erst dann fielen mir die seltsam geduckten Figuren über den Simsen auf: Da hockten tatsächlich Koalabären auf den Erkern – Art déco auf australisch.
    Auf dem Rückweg nach Bondi stieg ich schon nach ein paar Haltestellen wieder aus. Ich hatte meine Nebenmissionzwar für eine Weile verdrängt, aber dann doch nicht vergessen.

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