Ein Jahr in Australien
Gallery zu einem ohnehin für eine Recherche nötigen Architekturbummel in der Innenstadt. Begleiten würde mich der gute Vorsatz, sofort zuzuschlagen, wenn mich unterwegs etwas Nettes aus einem Schaufenster ansah. Ohne lange zu fackeln, vielleicht gar ohne Anprobieren. Der Gedanke an all die reizenden jungen Verkäuferinnen jagte mir schon im Voraus Schauer über den Rücken. Ich hörte förmlich, wie sie mir versicherten, dieses zauberhafte Jackett stehe mir „waaaahnsinnig gut“ – obgleich ich genau wusste, dass Rot nicht meine Farbe war und Blazer mir kurze Beine machten, australische erst recht. Ah. Ich würde mit etwas Einfachem anfangen, mit der Kunst.
Die Art Gallery of New South Wales am Rand des Botanischen Gartens war ein eigenartiges Gebilde und dabei typisch für Sydney: Die Fassade und vordere Hälfte des Museums waren ein echter Kunsttempel mit Säulen und Reliefs und goldenen Inschriften. Nach hinten, zur Hafenseite, verschmolz der ehrwürdige Sandsteinkoloss mit zwei modernen Anbauten aus Glas und Beton, die in den 70ern und 80ern angeflickt worden waren. Ähnlich wie viele andere Ecken inder Innenstadt, die mir oft wie ein Cocktail aus Zufall und Planung, kolonialen Überbleibseln und polierten Wolkenkratzern vorkam. Lärmende Umgehungsstraßen auf Stelzen waren nur einen Steinwurf entfernt von viktorianischen Terrassenhaus-Alleen, gleich neben hölzernen Veranden standen klobige Betonkästen. War das nun gelungen, schön, hässlich? Schwer zu sagen, auf alle Fälle war die Mischung nicht langweilig.
Ich ließ in der Art Gallery die alten australischen Landschaftsbilder, denen ich sonst meist einen Besuch abstattete, links liegen und fuhr direkt ins unterste Geschoss. Durch die ständige Ausstellung der Aborigine-Kunst dort war ich schon ein paar Mal gegangen. Aber diesmal wollte ich mir ansehen, welche Bilder aus dem Northern Territory stammten. Tatsächlich, da waren sogar Rindenmalereien aus Yirrkala und Skulpturen aus anderen Regionen von Arnhem Land. Zwischen den hohen, weißen Wänden wirkten sie ein bisschen fremd. Aber ich freute mich trotzdem, dass sie da waren. Als träfe ich alte Bekannte in einer neuen Umgebung.
Mein Lieblingsplatz zum Ausruhen in der Art Gallery war die Terrasse mit dem Museumscafé. Es lag am Hang und bot einen guten Blick auf die Woolloomooloo Finger Wharf, eine über 400 Meter lange Werft- und Speicheranlage, die sich wie ein Finger in die schmale Hafenbucht streckte. Auch in anderen Hafenbecken waren noch ein paar dieser Kais aus der Föderationszeit erhalten. Die meisten waren mit viel Aufwand saniert und zu Theatern, Studios und Büros umgebaut worden. Woolloomooloos mehrstöckige Werft in elegantem Türkis war allerdings die schickste. In dem einstigen Lager gab es jetzt ein Hotel, teure Restaurants, Cafés und Wohnungen mit Anlegeplatz für die eigene Yacht. Laut Stadt-Klatsch hatten die Architekten die Decken der Apartments viel zu niedrig gehängt, trotzdem kosteten sie Millionen. Kein Wunder, sich auf gleich drei Seiten mit Wasser und Hafen zuumgeben, galt selbst in Sydney als exklusiv. Da musste man eben in Kauf nehmen, sich hin und wieder an historischen Dachbalken den Kopf zu stoßen. Der Museumskaffee hielt dem Vergleich mit Camerons nicht stand, aber ich bestellte trotzdem noch einen. Einfach weil der Blick auf Werft und Wasser so schön war. Was hatte noch der Dramatiker David Williamson gespöttelt? „Kein Mensch denkt in Sydney über den Sinn des Lebens nach. Wichtig ist allein die Wohnung mit Meerblick.“ Ich konnte gut ohne Blick aufs Wasser wohnen. Ihn aber jederzeit genießen zu können fand ich schön, zumal man in diesem Teil der City dem Hafenblick ohnehin kaum ausweichen konnte.
Der Hafen war, anders als in Hamburg, keine Kulisse am Rande. Er war eher das Herz der Stadt und überall präsent. Die Stadt umrundete dieses Gewässer mit 240 Kilometern Küste, Docks und Marinas, Nationalpark, Stränden und felsigen Uferwegen. Am Hafen lagen die begehrtesten Grundstücke, er war der Weg zur Arbeit für Leute, die die Fähre nahmen. Am Wochenende wurde er zum Spielplatz, wenn die Segler einander auf ihren Regatten um die kleinen Inseln jagten. Wahrscheinlich, so überlegte ich auf dem Weg vom Museum in Richtung City, ist all dieses glitzernde Wasser schuld an Sydneys Leichtigkeit, an dieser lässigen Stimmung, in der alles Mögliche möglich schien. So viel in der Sonne funkelndes Blau musste einfach das Lebensgefühl prägen. Mein Blick
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