Ein Jahr in Australien
langen Torpfählen von der Seite gepackt und zu Boden geschleudert wurde. Zum Glück hatte er eine Art gepolsterte Mütze um den Kopf. Das sah zwar nicht gut aus, beugte aber vermutlich Kieferbrüchen vor. Denn sanft gingen die Jungs nun wirklich nicht miteinander um. „Deshalb wird in den Schulen mehr Netzball und Fußball gespielt“, grinste Rob. Ich schüttelte in einer Mischung aus Grusel und Faszination den Kopf. Immerhin war die Stimmung im Pub entspannt. Natürlich wurden die Torszenen ausgelassener bejubelt, je länger das Spiel dauerte, und das kollektive Luftanhalten bei Vorstößen der Springböcke wurde ebenfalls intensiver. Aber niemand pöbelte oder rempelte, und es gab auch kein Fluchen und keine Streitereien in der randvollen „Sports Bar“ der Kneipe. „Alles in allem“, sagte Rob, „wollen wir zwar gewinnen, logisch, aber vor allem geht es darum, ein gutes Spiel zu sehen.“ Und Hooliganismus hätten sie zum Glück nicht aus England mitgebracht. Wenn die anderen siegten, fänden die Fans das zwar nicht schön, aber es sei okay, solange bloß das Match nicht langweilig sei. Am Ende stand es 29 zu 13, und alle waren froh, offenbar hatte es reichlich Spannung und gute Spielszenen geben. Und einen Sieg für die Wallabies. Ich bedankte mich für meine erste Rugby-Lektion und versprach, am Ball zu bleiben. Was stimmte: Diesen Kampf um Punkte und Überleben müsste ich mir noch häufiger ansehen, ehe ich ihn verstehen würde. Es war schon aufregend gewesen, das gab ich zu. Heimlich sehnte ich mich trotzdem ein bisschen nach dem Millerntor.
Für Teil B, unsere letzte und entscheidendeLebensretterprüfung, mussten wir uns in aller Herrgottsfrühe am Nachbarstrand Bronte einfinden. Die Bucht lag eine Landzunge jenseits von Tamarama und war kaum halb so groß wie Bondi. Aber Strömungen, Strandform und Himmelsrichtung machten Bronte anfälliger für hohe und schwierige Wellen als unseren friedlichen Heimatstrand. Und vermutlich genau deshalb mussten wir und wenigstens dreißig „Bronzies“ von anderen Clubs natürlich auch hier zeigen, was wir konnten. Schließlich würde das Retten im richtigen Leben ja auch unter mutmaßlich schwierigen Bedingungen stattfinden. Ich kam mit dem Express, weil Alex fand, der Van sei genau das Richtige, um fünf zusätzliche Rettungsboards zum Nachbarstrand zu schaffen. Die Sonne kletterte über die Felsen, der Himmel war von einem besonders tiefen Blau, und schon früh morgens spürte man, dass es heiß werden würde. Es hätte so ein schöner fauler Sonntag werden können … Der Wind ließ die rotgelben Fahnen flattern, und meine Nerven fühlten sich ähnlich an. Aber es half ja nichts, wir schoben die gelben Rettungsplanken in den Transporter, Alex und Chris quetschten sich neben mich auf die Sitzbank, und wir düsten die drei Kilometer über den Hügel nach Bronte.
Die B-Prüfung hatte es doppelt in sich: Zunächst war sie ein Einzel-Examen, in dem jeder ein run-swim-run absolvierte und dann vermeintlich Ertrinkende mit und ohne Hilfsmittel retten musste, ohne die Fracht in der Brandung zu verlieren. „Nach dieser kleinen Aufwärm-Übung“, so der Prüfer, der sich als Steve vorstellte, „machen wir dann ernst.“ Er grinste uns zu, wobei ich mir einbildete, eine Spur von Schadenfreude in seinen Mundwinkeln zu entdecken. Steve war ein Koloss mit Dreitagebart und trug unter seinem blauen Hut eine eng um den Kopf liegende Sonnenbrille. Er machte sich permanent Notizen in einem ebenfalls blauen Klappordner. Ich überlegte, ob man wohl nach dem aktivem Lebensretterdasein die Fitness zugunsten von Stattlichkeitaufgab und sozusagen automatisch Prüfer wurde. Dann verbot ich mir derart lästerliche Gedanken und konzentrierte mich auf den zweiten Teil , den Team-Test.
Unser Freund Steve würde ein so genanntes Problem-Szenario erfinden. Das konnte so ziemlich alles sein, was an einem Strand voller Menschen, Tiere und Sensationen passieren konnte: eine Massenpanik nach Hai-Alarm oder eine Serie von Hitzschlag-Patienten. Diese wie auch immer geartete Situation wurde nicht etwa erklärt, sondern von Freiwilligen und anderen Clubmitgliedern simuliert. Unser Job als Team von der Strandpatrouille war, die jeweilige Krise möglichst ohne Ausfälle und Opfer souverän unter Kontrolle zu bringen. Würde einer von uns dabei grobe Fehler machen, fielen alle durch. Übersahen wir etwa ein ertrinkendes Kind oder eine Herzattacke im Sand, war alles vorbei. So addierte sich zum
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