Ein Jahr ohne Juli (German Edition)
ausrichten. Jedes Mal würde Mikey dasselbe Schicksal ereilen.
Ich glaube, mir wird schlecht.
Juli zieht eine Grimasse. »Lästig, was?«
Ich kann nicht mal antworten.
Mrs Leonard ist schon auf dem Weg zum Parkplatz. »Kommt, Kinder, wir verspäten uns sonst. Mikey, lass das Spiel jetzt.«
Ich packe Juli am Arm. Ich bin noch nicht bereit, aufzugeben und dem Schicksal einfach so seinen Lauf zu lassen. »Juli, Mikey kann nicht mitkommen!«
»Ich weiß. Es ist echt ätzend. Aber wir haben keine andere Wahl. Er kann doch nicht allein hierbleiben.«
»Er könnte doch zu uns gehen und mit Craig spielen.«
»Ich will aber nicht mit Craig spielen. Ich will reiten«, sagt Mikey, drängt sich an uns vorbei und rennt zum Auto. »Ich darf vorne sitzen!«
Ich balle die Hände zu Fäusten. »Juli, er darf nicht mit«, zische ich. »Wir dürfen ihn nicht mitnehmen.«
Juli lacht. »Jetzt reg dich doch nicht so darüber auf. Es wird trotzdem nett. Wir müssen ja nicht mit ihm reden.«
»Das ist es nicht«, sage ich und zwänge mich mit Juli auf den Rücksitz.
Sie sieht mich an. »Was dann?«, fragt sie mit einem Anflug von Unwillen in der Stimme. »Wir machen doch auch ständig Sachen mit deiner ganzen Familie; warum ist es so ein Problem, meinen kleinen Bruder mitzunehmen?«
»Ich – ich kann es nicht erklären. Es ist einfach ein Problem«, sage ich und suche nach einer anderen Ausrede. Wenn ich sie nicht überreden kann, Mikey daran zu hindern, mitzukommen, dann muss ich irgendwie den ganzen Ausflug abblasen.
»Hör mal, genaugenommen liegt es an mir, verstehst du? Ich will nicht mitkommen. Ich will was anderes machen«, sage ich. Ich beuge mich vor, so gut es in dieser Enge geht, und tippe Mrs Leonard auf die Schulter. »Ich hab mich umentschieden. Ich will nicht reiten.«
Juli bricht in Gelächter aus. »Du machst doch nur einen Scherz, stimmt’s?«
Mrs Leonard wirft mir über den Rückspiegel einen Blick zu. »Alles in Ordnung, Jenny?«
»Nein, eigentlich nicht. Mir ist ein bisschen – äh, schlecht. Ich glaube, ich kann doch nicht reiten gehen. Können wir etwas anderes machen?« Dann fällt mir unser Ausflug ein. »Können wir stattdessen nicht ins Kerzenmuseum gehen?«
Juli prustet los und knufft mich. »Du bist zum Schießen!«, sagt sie. »Super!«
Mrs Leonard lächelt uns beiden nachsichtig zu. »Ihr seid mir so zwei«, sagt sie. »Okay, anschnallen – wir müssen los.«
Und dann fährt sie Juli, Mikey und mich in den Reitstall, und ich bringe auf dem ganzen Weg dorthin kein Wort mehr hervor. Ich kann nur eines denken: Ich darf es nicht passieren lassen. Nach allem, was ich in den letzten beiden Tagen durchgemacht habe, kann ich es doch nicht hierher zurück geschafft haben, nur um das Ganze noch einmal passieren zu lassen. Und diesmal auch noch vor meinen Augen.
Ich muss mir etwas anderes überlegen. Noch habe ich Zeit. Vielleicht kann ich im Reitstall mit jemandem reden. Versuchen, den Ausritt abzusagen. Sie sollen behaupten, alle Pferde seien krank oder sie hätten nicht genug Personal, es sei zu heiß zum Ausreiten – irgendwas! Ich weiß nur eines: Ich muss Mikey davon abhalten, auf das Pferd zu steigen.
Juli steigt aus dem Auto aus und geht mit Mikey voran. Ich folge ihnen mit Mrs Leonard.
»Kann Mikey nicht bei Ihnen bleiben?«, frage ich sinnloserweise.
»Ich habe einen Termin bei der Kosmetikerin, Liebes, und dann treffe ich meinen Mann nach seinem Squashspiel zur Aromatherapie«, sagt sie lachend. »Sag mal, was hast du denn auf einmal gegen Mikey? Es hat dich doch sonst nie gestört, wenn er dabei war.«
Wir überqueren einen staubigen Hof und steuern auf die gegenüberliegende Ecke zu. Ein hölzernes Schild mit Anmeldung ist an die Wand genagelt.
Im Inneren stehen mehrere aufgeregte Mädchen mit ihren Eltern Schlange. Eine Frau an einem kleinen Schreibtisch kritzelt etwas in ein Formular. Sie steht auf und holt zwei Reithelme. Auf dem Boden liegt Stroh herum, und ein ledriger Geruch hängt in der Luft.
Mikey kommt angelaufen. »Sie sagt, dass ich auch reiten kann«, verkündet er und grinst, als die Frau mit einem Reithelm in der Hand auf ihn zukommt.
»Probier den mal«, sagt sie und reicht Mikey den Helm. Sie kommt mir bekannt vor. Wo habe ich sie schon mal gesehen?
Als sie sich uns lächelnd zuwendet, fällt mir ein, wo ich sie schon mal gesehen habe. Es ist die Frau aus der Nachrichtensendung!
Mich überläuft ein Schauer. Es wird passieren. Schon bald –
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