Ein kalter Mord - McCullough, C: Ein kalter Mord
wurden – nun, ich ebenfalls.«
»Launen des Schicksals?«
»Len Ponsonby – Chucks und Claires Vater – war ungeheuer reich, genau wie seine Ahnen. Ihre Mutter Ida kam aus einer betuchten Familie in Ohio. Dann wurde Len Ponsonby ermordet. Es muss 1930 gewesen sein, nicht lange nach dem Börsenkrach an der Wall Street. Er wurde vor dem Bahnhof von Holloman von einer randalierenden Bande Wanderarbeiter erschlagen. Sie haben damals noch zwei weitere Menschen totgeschlagen. Oh, man machte die Wirtschaftskrise dafür verantwortlich, schwarz gebrannten Alkohol, alles Mögliche! Gefasst wurde niemand. Bei dem großen Börsencrash war jedoch Lens gesamtes Vermögen verschwunden, wodurch die arme Ida faktisch mittellos dastand. Sie versah sich mit neuen Geldmitteln, indem sie Ponsonby-Land verkaufte. Eine tapfere Frau!«
»Wie haben Sie Chuck und Claire kennengelernt?«, fragte Carmine fasziniert darüber, was sich so alles hinter manchen Fassaden verbergen konnte.
»Wir haben alle zusammen die Dormer Day School besucht. Chuck und Bob waren vier Klassen über Claire und mir.«
»
Claire?
Aber sie ist doch blind!«
»Das ist passiert, als sie vierzehn war. 1939, unmittelbar nach Kriegsausbruch in Europa. Sie hatte schon immer nur schlecht sehen können, aber aufgrund einer Retinitis pigmentosa kam es dann bei ihr auf beiden Augen gleichzeitig zu einer Netzhautablösung. Sie erblindete buchstäblich über Nacht. Oh, das war ganz schrecklich! Als hätten diese arme Frau und ihre drei Kinder nicht auch so schon genug durchgemacht!«
»
Drei
Kinder?«
»Ja, die beiden Jungs und Claire. Chuck ist der Älteste, dann kam Morton und schließlich Claire. Morton war geistig behindert. Er sprach niemals ein Wort und schien auch nicht zu begreifen, dass es andere Menschen auf der Welt gab. Sein Licht erlosch nicht, Lieutenant. Es war nie eingeschaltet worden. Und er hatte gewalttätige Tobsuchtsanfälle. Bob sagt, heute würde man ihn als autistisch diagnostizieren. Morton ging daher nie zur Schule.«
»Haben Sie ihn jemals gesehen?«
»Gelegentlich, obwohl Ida Ponsonby Sorge hatte, dass er einen seiner Anfälle bekommen könnte, weswegen sie ihn immer eingeschlossen hat, wenn wir zum Spielen rüberkamen.«
In Carmines Kopf überschlugen sich die Gedanken. Ein geistig behinderter Bruder! Warum hatte er nicht registriert, dass im Haushalt der Ponsonbys etwas nicht stimmte? Weil an der Oberfläche alles in bester Ordnung war! Doch in dem Augenblick, als Eliza Smith von drei Kindern sprach, hatte er es
gewusst
. Die Teilchen begannen sich zusammenzufügen. Chuckim Hug, und der verrückte Bruder irgendwo anders … Carmine war sich bewusst, dass Eliza Smith ihn anstarrte.
»Wie sieht Morton aus? Wo ist er heute?«
»Claire erblindete, und Ida Ponsonby schickte sie in eine Blindenschule in Cleveland, wo Ida immer noch Familie hatte. Irgendwie gab es da wohl eine Verbindung zu der Blindenschule – ich glaube, über eine Stiftung. Jedenfalls, kaum war Claire nach Cleveland gegangen, da starb Morton. Ich glaube an einer Hirnblutung. Wir sind natürlich zu seiner Beerdigung gegangen. Was man damals Kindern zugemutet hat! Wir mussten auf Zehenspitzen an den offenen Sarg treten und Morton auf die Wange küssen. Es fühlte sich feuchtkalt und glitschig an« – sie schüttelte sich – »und es war das allererste Mal in meinem Leben, dass ich den Tod roch. Der arme kleine Kerl hatte endlich seine Ruhe gefunden. Wie er aussah? Wie Chuck und Claire. Er liegt im Familiengrab auf dem alten Valley Cemetery.«
»Klingt ganz so, als wäre die Familie vom Pech verfolgt«, sagte er.
»Kann man sagen. Irrsinn und Blindheit lagen in Idas Familie, nicht aber bei den Ponsonbys. Ida wurde ebenfalls verrückt, kurze Zeit später. Ich glaube, das letzte Mal habe ich sie bei Mortons Beerdigung gesehen. Nachdem Claire in Cleveland war, habe ich das Haus der Ponsonbys nicht mehr besucht.«
»Wann ist Claire denn nach Hause gekommen?«
»Als Ida völlig verrückt wurde – das muss kurz nach Pearl Harbor gewesen sein. Chuck und Bob wurden nicht zum Militär eingezogen, sie haben während der Kriegsjahre Medizin studiert. Claire war zwei Jahre in Ohio – lange genug, um zu lernen, wie man sich mit Hilfe eines Blindenstocks relativ frei bewegen kann. Sie war eine der allerersten, die einen Blindenhund bekommen haben. Biddy ist ihr vierter.«
Carmine stand auf. Einen Moment lang hatte er wirklichgedacht, alles sei vorüber; dass er das Unmögliche
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