Ein Kelch voll Wind
volle Dröhnung der Klimaanlage entgegenschlug, und warf Axelles Poststapel auf die Küchentheke. Es roch seltsam verbrannt, sodass ich niesen musste. Ich folgte dem Geruch durch die Küche in mein Schlafzimmer, wo Axelle gerade– ohne Witz– dabei war, singend einen kleinen grünen Zweig zu verbrennen.
»W as um Gottes willen machst du da?«, fragte ich und wedelte mit den Armen, um den Rauch zu vertreiben.
»S albei verbrennen«, antwortete Axelle knapp und schwenkte die glimmenden grünen Zweige in jede Ecke meines Zimmers.
Salbei verbrennen? »D u weißt, dass es so was wie Lufterfrischer gibt, oder?«, sagte ich und warf meine Sachen aufs Bett. »W ir könnten auch einfach das Fenster aufmachen.«
»D afür brauche ich es nicht«, erwiderte Axelle. Ihre Lippen bewegten sich stumm und endlich verstand ich: Der brennende Salbei war wieder irgend so ein Magiequatsch von ihr. Ein »Z auber«, den sie in meinem Zimmer vollführte, aus welchem Grund auch immer. Na dann. Das also war jetzt mein Leben: Ich wohnte bei einer Unbekannten, die in meinem Schlafzimmer Voodoo praktizierte. Weil sie an diesen ganzen Scheiß glaubte. Jesus. Um zur Abwechslung mal nicht den Namen des Herrn zu missbrauchen.
Axelle ignorierte mich und murmelte eine Art Beschwörung vor sich hin, während sie durch das Zimmer lief. In der einen Hand hielt sie den Zweig, in der anderen einen Kristall, einen von der Sorte, die man in Esoterikläden kaufen konnte, fuhr damit den Türrahmen entlang und brabbelte immerzu ihren seltsamen Singsang vor sich her.
Ich verlor die Fassung. Ich konnte nicht anders. In diesem Moment schien mein Leben einfach so unfassbar verrückt. Ohne ein Wort zu sagen, drehte ich mich um und rannte aus der Wohnung, die Auffahrt hinunter und durch das Tor. Schließlich stand ich auf der schmalen Straße, um mich herum langsam fahrende Autos, Touristen und… Straßenkünstler. Es war alles zu viel. Ich presste mir die Hand vor den Mund und versuchte nicht zu weinen. Ich hasste diesen Ort! Ich wollte irgendwohin, wo es normal zuging! Ich wollte nach Hause! Welsford war zwar auch nicht frei von Straßenpantomimen, aber wenigstens würde ich ihnen nicht direkt vor meinem Haus begegnen.
Mir verschwamm die Sicht und ich stolperte über einen Bordstein. Ich konnte nirgendwo hin, hatte keine Zuflucht. Bei dem Wort »Z uflucht« kam mir eine Kirche in den Sinn, und das wiederum erinnerte mich an etwas, was ich vor ein paar Tagen gesehen hatte: einen kleinen, versteckten Garten hinter einer Backsteinmauer. Er war an St. Peter’s angeschlossen, eine katholische Kirche, die sich zwischen Axelles Apartment und dem kleinen Lebensmittelgeschäft an der Ecke befand, in dem ich immer einkaufte.
Rasch marschierte ich über den mit Ziegelsteinen gepflasterten Gehweg. Als ich angekommen war, presste ich mein Gesicht gegen die Eisenvergitterung einer kleinen Öffnung, die in ungefähr eineinhalb Meter Höhe in das Gemäuer eingelassen war. Ich lief die Backsteinmauer entlang, schob ein wenig Efeu zur Seite und fand eine niedrige Holztür, die vor zwei Jahrhunderten für damals offensichtlich sehr kleinwüchsige Kreolen gemacht worden war.
Ohne zu zögern, zerrte ich an der Klinke, bis die Tür aufsprang. Ich schlüpfte unter dem Efeu hindurch und betrat eine ruhige, zurückgezogene Welt.
Der Garten war klein, er umfasste vielleicht zwanzig Quadratmeter, und wurde hinten von der Kirche begrenzt. Auf der einen Seite befand sich eine Allee, auf der anderen ein Pfarrbüro und vorne die Straße. Und obwohl mich nur eine zwei Meter hohe Backsteinmauer von der Stadt trennte, war dieser Ort außergewöhnlich ruhig, abgeschieden und irgendwie nicht von dieser Welt.
Ich blickte mich um. Ein paar Fenster gingen auf den Garten hinaus, dennoch fühlte ich mich sicher und unbeobachtet. Hinter einem Myrtenbaum, dessen Rinde in weichen Fetzen an dem Stamm herabhing, stand eine alte Marmorbank. Ich ließ mich darauf nieder und vergrub mein Gesicht in den Armen. Lautlose, heiße Tränen tropften mir aus den Augen in die Armbeugen. Ich erwartete fast, dass mir jeden Moment jemand auf die Schulter klopfen würde, um mir zu sagen, dass ich mich auf einem Privatgrundstück befand und gehen müsse, doch niemand kam. Für eine lange Zeit saß ich einfach nur zusammengekrümmt auf der marmornen Bank und mein Verstand formte immer neue Variationen von: »H elft mir, in Gottes Namen. Irgendjemand!«
Schließlich, als sich mein Arm schon ganz taub anfühlte
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