Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
baulichen Veränderungen unverzüglich durchführen zu lassen. Die Arbeiten werden ungefähr einen Monat dauern, sagte Mr. Mathieson, und während dieser Zeit wird der Club geschlossen bleiben. Weiter sagte er, daß sämtlichen Angestellten für die Dauer der Schließung des Clubs ein zusätzlich bezahlter Urlaub gewährt wird.
Hypnotisiert war nun nicht mehr das richtige Wort, um Mrs. Butterfields Zustand zu beschreiben. Paralysiert träfe es besser, denn sie saß leichenblaß wie angewurzelt auf ihrem Stuhl und starrte ihre Freundin schuldbewußt an. Ada ließ die Zeitung sinken und sagte: «Violet Butterfield, wie konntest du mir das antun? Kannst mich wegen deines Jobs nicht begleiten, wie? Und hier steht, daß sämtlichen Angestellten für die Dauer der Schließung ein zusätzlich bezahlter Urlaub gewährt wird, während du mir vormachst, daß du zur Arbeit mußt. Na, wie sieht’s denn jetzt mit einer kleinen Urlaubsreise nach Moskau aus, meine Liebe?»
In ihrer Verlegenheit reagierte Mrs. Butterfield mit einem für sie höchst ungewöhnlichen Zornesausbruch, der unter den gegebenen Umständen jedoch verständlich war. «Laß das gefälligst, mich herumzukommandieren, Ada Harris», rief sie, ihre Starre abschüttelnd. «Wenn wir auch seit Ewigkeiten befreundet sind, so laß ich mir deswegen noch lange nicht vorschreiben, wo ich hinreisen soll und wohin nicht, und wenn es ein Land gibt, in das ich meinen Fuß nicht setze, dann ist es Rußland. Deine Bilder von den Palästen und Kirchen und Ballettänzerinnen kannst du dir an den Hut stecken. Aber von den armen Leuten, die in den Klapsmühlen verschwinden oder sich in Sibirien zu Tode frieren, da gibt es keine Fotos. Ich denke nicht daran, nach Rußland zu fahren — das ist mein letztes Wort!» Sie hielt inne und wartete mit klopfendem Herzen auf den Wutausbruch ihrer Freundin, der kommen mußte, denn Ada Harris war bekannt dafür, daß sie sich von niemandem etwas bieten ließ. Doch zu Violets Überraschung blieb er aus.
Statt dessen faltete Mrs. Harris ruhig ihre Zeitung zusammen, legte sie auf den Tisch und sagte: «Ich verstehe, Violet, du brauchst kein Wort weiter zu sagen.» Sie war verletzt — nicht weil Mrs. Butterfield sich vor dem Eisernen Vorhang und dem, was dahinter lag, fürchtete, sondern weil sie ihr hatte verheimlichen wollen, daß sie rund vier Wochen gar nicht an ihrem Arbeitsplatz zu erscheinen brauchte. Sie stand auf und nahm die beiden Gutscheine aus der porzellanschale auf dem Kaminsims, in der sie alle wichtigen Papiere aufhob, schob den einen über den Tisch und sagte: «Da. Du hast mich zu dem Fest eingeladen und meine Eintrittskarte bezahlt. Ergo müssen wir das, was ich gewonnen habe, teilen. Hier ist dein Gutschein. Mach damit, was du willst. Was mich betrifft, ich fahre.» Sie steckte den anderen Gutschein in ihre Handtasche und ließ sie mit einer unmißverständlichen Gebärde der Entschlossenheit zuschnappen. Für Mrs. Butterfield hörte es sich wie das Dröhnen einer zufallenden Kerkertür an. Ihr Zorn war verraucht. Sie stieß einen Schreckensschrei aus und rief: «Ada, du willst doch nicht etwa ganz allein dorthin?»
Mrs. Harris, sehr darauf bedacht, das Dekorum zu wahren, sagte hoheitsvoll: «Wenn meine beste Freundin es ablehnt, mich auf dieser Reise, die sie keinen Penny kostet, zu begleiten, bleibt mir wohl nicht anderes übrig.»
Wenn Mrs. Butterfield weinte, schwammen nicht nur ihre Augen in Tränen, sondern gleich die ganze Wohnung. «Oh, Ada, Ada», jammerte sie, «sprich nicht so. Du bist meine beste Freundin, die einzige, die ich auf der Welt habe. Was auch passieren mag, ich begleite dich. Es muß ja jemand auf dich aufpassen.»
Ihre Kapitulation hätte auch das sprichwörtliche Herz von Stein erweichen lassen. Das von Mrs. Harris war sehr viel schneller zu rühren. Auch ihr liefen die Tränen über die Wangen, und mit ausgestreckten Armen ging sie auf ihre Freundin zu und rief aus: «Oh, Vi, ich habe es ja gewußt.» Und Vi sagte: «Ada, ich wollte dir bestimmt nichts vorlügen, was meinen Job angeht. Das Geld, das ich für diesen zusätzlichen Urlaub bekomme, können wir auch verbrauchen.» Und sie fielen einander in die Arme, wobei die zierliche Mrs. Harris, als sie Mrs. Butterfield in die Arme sank, von dem großen Busen ihrer Freundin fast erdrückt wurde.
Nachdem die Tränen getrocknet waren, wurde zuerst eine frische Kanne Tee aufgebrüht. Dann setzten die beiden Freundinnen sich wieder hin, und Ada
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