Ein kleines Stück vom Himmel nur
Hals, und ich bereite mich in Gedanken schon auf das Schlimmste vor. Ich stoÃe die Tür auf â und da ist sie.
Sie sitzt in dem groÃen Ohrensessel am Fenster, der Kopf ruht seitlich abgewandt in der Nische zwischen Rücken- und Ohrenlehne; ihr Nacken ist ein wenig überdehnt, und die lose, papierne Haut spannt sich über den deutlich sichtbaren Sehnen. Ihr Haar ist ein bisschen zerzaust; die Augen hat sie geschlossen. Mir rutscht das Herz in die Hose. Einen Moment lag denke ich tatsächlich, sie ist tot.
Ich klammere mich an der Tür fest. »Nancy?«, flüstere ich.
Da zuckt sie plötzlich zusammen und reiÃt die Augen auf. Ich weià nicht, wer von uns beiden überraschter ist.
»Monica?«, fragt sie, als ob sie sich vergewissern müsste, dass sie schon wach ist und nicht mehr träumt.
»Oh, Nancy, das tut mir leid. Ich wollte Sie nicht erschrecken.« Ich bin jetzt ganz verlegen und durcheinander. »Ich habe mir bloà Sorgen gemacht. Ich habe ein paar Mal gerufen, und niemand hat geantwortet. Deshalb hab ich schon befürchtet, Sie könnten vielleicht krank sein.«
»Ich habe bloà ein kleines Nickerchen gemacht. Das mache ich oft um diese Zeit.« Jetzt erhebt sich Nancy von ihrem Sessel, streicht ihre Bluse glatt und richtet sich das Haar. »Ich habe gar nicht mit Besuch gerechnet.«
»Sie sollten wirklich besser die Tür abschlieÃen, bevor Sie einschlafen. Jeder könnte hier unbemerkt reinkommen. Sie könnten beraubt oder ermordet werden, ohne dass es jemand merkt.«
Nancy lächelt, dieses wunderbare, von innen kommende Lächeln, das ihr ganzes Gesicht aufhellt und sie Jahre jünger aussehen lässt.
»Ach, das glaube ich nicht. Dieses Viertel ist so sicher wie Fort Knox.«
»Früher vielleicht. Aber die Zeiten haben sich geändert, Nancy. Ritchie würde Ihnen das auch sagen.«
»Hören Sie auf, mir Vorhaltungen zu machen, Monica«, sagt Nancy, aber in freundlichem Tonfall. »Ich habe mir noch nie gern Standpauken angehört, und in meinem Alter werde ich mich wohl nicht mehr ändern. Also, wie kann ich Ihnen helfen? Sie sind doch bestimmt nicht gekommen, um mich bei einem Nickerchen zu ertappen.«
»Nein, natürlich nicht, das wissen Sie doch. Ich wollte etwas mit Ihnen besprechen. Da gibt es etwas, was Sie meiner Meinung nach wissen sollten.«
»Ach Gott, wahrscheinlich gehtâs um Ritchie«, seufzt Nancy. Plötzlich sieht sie wieder älter aus, erschöpft und niedergedrückt, als laste das Gewicht der ganzen Welt auf ihren Schultern. »Was hat er denn jetzt wieder angestellt?«
»Das ist mir ziemlich unangenehm, Nancy.«
»Dann gönnen wir uns lieber einen Drink. Im Büro steht eine Flasche guter irischer Whisky, und im Kühlschrank finden Sie Soda und Eis.«
»Okay, ich mache uns einen.«
Ich mixe uns einen Whisky-Soda. Als ich zurückkomme, sitzt sie wieder im Ohrensessel. Ich stelle ihr Glas auf den kleinen Kartentisch neben ihrem Sessel, trage meins zur Chaiselongue, die dem Sessel gegenübersteht, und nippe schon am Whisky, ehe ich mich hingesetzt habe â ich brauche jetzt wirklich einen Drink. Nancy greift nach ihrem Glas, hält es zwischen ihren geschwollenen Fingern und sieht mich prüfend an.
»Also los, Monica. Raus mit den schlechten Nachrichten!«, sagt sie trocken.
Ich erzähle ihr, dass ich mir schon seit einiger Zeit Sorgen um Varna Aviation mache, und berichte von dem Angebot von Wings West, dem Unternehmen aus Fort Myers. Ich erzähle ihr, dass Ritchie es rundweg abgelehnt hat, das Angebot überhaupt in Erwägung zu ziehen, und gesagt hat, er wolle sie nicht damit belasten.
»Aber ich finde, Sie haben ein Recht, es zu erfahren«, schlieÃe ich meinen Bericht.
»Das finde ich auch.« Nancys Mund hat sich zu einer schmalen Linie verzogen.
»Vielleicht möchten Sie es ja sowieso ablehnen«, sage ich, »aber ich finde es nicht richtig, dass er Ihnen nichts davon erzählt hat.«
Nancy schweigt eine Weile nachdenklich. Doch was in ihrem Kopf vorgeht, vermag ich nicht zu sagen. Dann schaut sie mich wieder an.
»Wie ist denn Ihre Meinung zu dem Thema, Monica?«
»Meine?«, frage ich überrascht. Ich bin schon ewig lange bei Varna Aviation, aber ich bin es trotzdem nicht gewöhnt, dass man mich nach meiner Meinung fragt. Ich gebe zu, dass ich sie durchaus
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