Ein Knödel zu viel: Kriminalroman (German Edition)
die LKW s im Blick behalten, falls Bongarts ihr auf dem Beifahrersitz eines Transporters gefolgt war. Obwohl er nirgends zu entdecken gewesen war, hatte sie sich nicht entspannen können. Zu ihrer Angst waren noch Kopfschmerzen gekommen, die immer stärker wurden.
Der Verkehr war über weite Strecken dicht gewesen, aber sie war trotzdem zügig vorangekommen. Dabei hatte sie immer den Rückspiegel im Blick behalten. Erst als sie am Autobahnkreuz Crailsheim auf die A 7 abbog, spürte sie Erleichterung. Bongarts konnte ihr nicht gefolgt sein.
Die Stunden auf der Autobahn hatte sie dazu genutzt, über die vergangenen vier Wochen nachzudenken. An welchem Punkt war ihr Leben aus den Fugen geraten? Welche Warnsignale hatte sie übersehen, was war passiert, dass ihr Gespür für Gefahr sie verlassen hatte?
War es die Beziehung zu Wackerzapp gewesen, die sie aus der Bahn geworfen hatte? Oder Anellis Kaltschnäuzigkeit?
Kilometer um Kilometer hatte sie zurückgelegt, aber der Erkenntnis war sie nicht einen Millimeter näher gekommen. Immer wieder war sie die Ereignisse durchgegangen, die ihr Leben unumkehrbar verändert hatten. Zuerst der Tod von Dürselen und Kurzius. Das Schicksal der Frauen war ihr völlig egal gewesen. Ihr Leben hatte nicht gezählt. Sie hatten sich weggeworfen, indem sie für Geld die Beine breit gemacht hatten. Was sollte sie sich da um die Mädchen kümmern? Sie waren für ihre Dienste bezahlt worden, und sie hatten sicher auch ihren Spaß gehabt. Wenigstens in der Zeit, die sie im Allgäu hatten verbringen dürfen.
Und doch hätte sie schon damals wissen müssen, dass sie sich mitschuldig gemacht hatte. Mitschuld durch Unterlassung. Sie hätte den Mord an den Frauen verhindern müssen. Sie hätte ahnen müssen, dass Wackerzapp durchdrehen würde. Sie ein bisschen unter Druck setzen, okay. Damit wäre sichergestellt gewesen, dass sie die Klappe hielten. Carina Bauer war immer noch wütend, wenn sie daran dachte. Sie hätte die Frauen anders zum Schweigen bringen können. Zur Not mit ein bisschen Geld. So hatte Wackerzapp sie mit an den Abgrund gezerrt.
Die Frauen aus dem Weg räumen wie lästiges Gerümpel? Das hatte niemals gut gehen können. Warum hatte sie nur die Augen verschlossen? Weil sie wusste, dass im Grunde auch sie sich für Geld weggeworfen hatte? Und froh war, dass sie nicht einem ähnlichen Schicksal ausgesetzt war? Oder hatte sie gehofft, dass mit dem Verschwinden der Frauen ihre eigene Unzulänglichkeit getilgt würde?
Je länger sie nachdachte, umso stärker wurde das Gefühl, sich im Kreis zu drehen. Sie war daher froh und erleichtert gewesen, als endlich von Weitem die Spitze des Grünten mit der Sendeanlage auf dem Gipfelgrat des Überhorn in ihren Blick rückte.
Kurz vor der Autobahnabfahrt Durach hatte sie sich entschieden, nicht zu ihrer Rottacher Wohnung zu fahren. Die Angst vor Bongarts hatte sie trotz der mehr als 600 Kilometer, die nun zwischen ihr und Düsseldorf lagen, nicht ganz verdrängen können. Sie konnte nicht einschätzen, ob Bongarts diese Adresse kannte. Außerdem wollte sie nicht auffallen, wenn sie allein die Wohnung aufsuchte. Das Dorf hatte überall Augen und Ohren. Das hatte sie in den vergangenen Jahren zu spüren bekommen, wenn man sie bei den wenigen Gelegenheiten, zu denen sie und die Mädchen in der Umgebung zum Einkaufen unterwegs gewesen waren, neugierig gemustert hatte. Einmal war sie sogar von einer angeblichen »Nachbarin«, einer alten Bäuerin, dreist auf ihren Beruf und ihre »Feiern« angesprochen worden. Die Alte hatte sie dabei mit abwertenden Blicken bedacht. Carina Bauer hatte damals von geschäftlichen Besprechungen und Verhandlungen gesprochen, die von der Abgeschiedenheit des Allgäus profitierten.
Die Bäuerin hatte darauf nur mit einer gezischelten Bemerkung reagiert, die sie zwar nicht wörtlich verstanden hatte, deren Sinn sie aber erahnt hatte. Schon damals hätte sie die Konsequenzen ziehen und die regelmäßigen Treffen in eine andere Gegend verlegen müssen. Aber das war ihr irgendwie überzogen erschienen. Wie sollte ihr eine einfältige Bauersfrau gefährlich werden? Nicht einmal der Gedanke war ihr gekommen. Damals.
An der Kirche folgte sie der Hauptstraße Richtung Moosbach und nahm sich ein Zimmer im Sulzberger Hof. Dort würde niemand sie vermuten.
Nach dem Abendessen saß Carina Bauer auf der Hotelterrasse noch eine Weile bei einem Glas Rotwein. Sie war müde von der langen Fahrt und erschöpft von den
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