Ein Knödel zu viel: Kriminalroman (German Edition)
Gedankenspielen, die sie jetzt wieder beschäftigten.
Die sanften Wiesen lagen saftig grün in der Abendstimmung. Die nahe Burgruine wirkte noch verwunschener als bei Tageslicht. Nur wenige Autos störten die abendliche Stille, die durch das Zirpen der Grillen noch eindringlicher wurde. Aber Carina Bauer hatte an diesem Abend keinen Blick für die Natur.
Sie nippte an ihrem Glas. Bevor sie ins Bett ging, wollte sie die kommenden Tage planen. Sie würde mit einem Sulzberger Makler den Verkauf der Rottacher Wohnung in die Wege leiten. Am besten den Verkauf aller Wohnungen. Danach würde sie weitersehen. Nach Düsseldorf wollte sie vorerst nicht zurück. Irgendwann würde Leuchtenberg sich melden, dann konnte er in ihrem Sinne handeln. Hoffte sie.
Sie fuhr sich über die Augen. Die Begegnung mit Bongarts lag nun schon zwei Tage zurück, und trotzdem meinte sie immer noch das Seewasser zu riechen. Auch Bongarts’ feiste Fratze hatte sich tief in ihr Gedächtnis gebrannt. Carina Bauer schüttelte sich. Sie winkte müde lächelnd ab, als eine Serviererin, die sie anscheinend beobachtet hatte, sich erkundigte, ob alles in Ordnung sei.
Carina Bauer rieb sich über die Oberarme. Ein leichter Wind war von Moosbach oder Ottacker heruntergekommen. Sie sah den Berg hinauf, aber ihr Blick blieb bereits hinter der Wiese im dichten Nadelwald hängen. Sie versuchte sich zu erinnern. Dort oben lag der Rottachsee. Sie war ein paarmal mit einem Mountainbike das Ufer abgefahren. Dabei hatte sie sich unbeschwert, ja sogar glücklich gefühlt. Damals, als Anelli sie noch auf Händen getragen hatte. Sie schnaubte. »Auf Händen getragen«, wie billig das heute klang. Was hatte er schon getan? Sie hatte sich von ihm vögeln lassen. Das war alles, was er getan hatte. Und geredet hatte er. Aber meist nur über sich selbst, seine Erfolge und seine Firma.
Carina Bauer fuhr sich erneut über die Augen. Es hatte sie damals nicht gestört, dass alles, was Anelli betraf, nur hohles Geschwätz gewesen war. Anelli war für sie damals nur ein Zeitvertreib gewesen.
Mit einem Mal fühlte Carina Bauer sich nur noch schmutzig. Schmutzig von ihrer Welt, die nichts gemein hatte mit der Natur um sie herum, die ihr zu anderen Zeiten als rein und unschuldig erschienen war.
Sie trank mit großen Schlucken ihr Glas leer und wollte gerade aufstehen, als ihr Mobiltelefon klingelte. Erschreckt ließ sie sich in den Korbsessel zurückfallen, sah ängstlich auf das Display und drückte dann hastig die grüne Taste.
Es war Leuchtenberg. Endlich.
»Wo bist du? Warum meldest du dich nicht?«
Leuchtenberg klang verwundert. »Ich hatte den ganzen Tag Termine. Warum? Was ist los?«
Carina Bauer atmete tief durch, bevor sie antwortete. »Du hattest recht. Ich trenne mich von der Wohnung. Ich will auch die übrigen Immobilien verkaufen.«
»Wo bist du? Du klingst wahrlich nicht entspannt.«
»Ich bin unterwegs.« Carina Bauer wollte vorerst ihren Aufenthaltsort für sich behalten.
»Geht es dir gut?«
In Leuchtenbergs Stimme lag ein lauernder Unterton. Sie beschloss, wachsam zu bleiben.
»Mir geht es gut. Ich bin lediglich müde. Die vergangenen Wochen waren doch ein bisschen viel.«
»Habe ich dir das nicht gesagt, dass du dich übernimmst? Auch in Sachen Duisburg haben wir noch Zeit genug. Carina, du arbeitest zu viel. Du musst auf dich aufpassen.« Leuchtenberg klang ehrlich besorgt.
Was sollte sie ihm erzählen? Konnte sie ihm vertrauen?
»Pass auf, Ferdinand. Ich muss für ein paar Tage verschwinden. Ein paar Sachen regeln.«
»Sag endlich, was los ist. Du bist im Allgäu, stimmt’s?«
»Woher weißt du das?« In Bauers Kopf schrillten sämtliche Alarmglocken.
»Das sagt mir mein Gefühl. Rottach ist der einzige Ort, den du aufsuchen würdest, ohne eine Nachricht zu hinterlassen.«
»Red keinen Blödsinn. Woher weißt du das?« Leuchtenberg kannte sie offenbar besser, als sie geahnt hatte. Sie hatte ihn unterschätzt. All die verfluchten langen Jahre hatte sie ihn unterschätzt.
»Nun reg dich nicht auf, Carina. Es ist nur eine Vermutung gewesen. Aber nun weiß ich ja, wo du bist. Ist jemand bei dir?«
Bauer sah Gänsehaut auf ihren Armen wachsen. »Was weißt du über Bongarts?«
Auf der anderen Seite herrschte Stille. Nur Leuchtenbergs gleichmäßiges Atmen war zu hören. Also doch, durchfuhr es sie.
»Warum hetzt du mir dieses Schwein auf den Hals?« Carina Bauer hatte das Gefühl, laut schreien zu müssen.
»Carina, bitte beruhige dich.
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