Ein König für Deutschland
den Ring gewaltsam zu öffnen, oder wenn man sich vom Gelände entfernt – gibt es Alarm.«
»Und was passiert dann?«, fragte Vincent.
»Würd ich an Ihrer Stelle nicht ausprobieren«, meinte der andere Beamte nur und winkte ihn weiter.
Zwei Wachbeamte brachten ihn zu seiner Zelle. Der Raum war geradezu aseptisch sauber, er wirkte, als sei Vincent sein erster Bewohner überhaupt. In den glatten, hellbeige gestrichenen Wänden spiegelte sich das Licht. Ein schießschartenartiges Fenster, zu schmal, als dass man sich hätte hindurchzwängen können, bot einen Blick über die Stadt. Eine Toilette und ein Waschbecken aus Edelstahl, ein kleiner Tisch und ein Stuhl aus weißem Plastik, ein Bett aus hellbeige lackiertem Stahl, einfach an die Wand geschraubt: Das war die ganze Einrichtung. Die Bettwäsche war vom gleichen Blau wie die Anstaltskleidung. Vincent setzte sich und versuchte zu begreifen, dass er hier nun über ein Jahr seines Lebens zubringen sollte.
Auf der Bettwäsche lag ein Faltblatt, das ihn willkommen hieß und über die innerhalb der »Einrichtung«, wie das Gefängnis genannt wurde, geltenden Vorschriften und Angebote informierte, über Öffnungszeiten der Leihbibliothek und an wen man sich bei Lebensmittelunverträglichkeiten wenden sollte.
Die letzte Seite des Prospekts enthielt ein kurzes Porträt der »John D. Narosi Group«, bei der es sich um ein ebenso eindrucksvolles wie konzeptionsloses Konglomerat verschiedenster Unternehmen handelte: Sie betrieb Gefängnisse, aber auch Mobilfunknetze überall in der Welt, stellte Berufskleidung her, aber auch Kühlaggregate, lieferte flüssigen Stickstoff, Automobilzubehör, Kinderspielzeug und Chemikalien für Campingtoiletten, hielt aber auch Beteiligungen an Hedge Fonds und Banken. Unter anderem an der Bank, bei der damals der von Vincent geschriebene Trojaner zum Einsatz gekommen war.
Vincent ließ das Faltblatt sinken. So also schlossen sich alle Kreise eines Tages.
Irgendwann ging die Klappe an seiner Tür auf, und ein Gesicht sah herein. Es war die Frau von der Theke am Eingang. Sie hielt seinen Ball in der Hand.
»Sie müssen ihn bei sich behalten«, sagte sie. »Wenn Sie ihn nach jemandem werfen, sind Sie ihn los.«
»Versprochen«, erwiderte Vincent hastig.
Sie deutete auf das schmale Ablagebord neben dem Fenster. »Legen Sie ihn dorthin. Was dort liegt, ist privat.« Sie gab ihm den Ball.
»Danke«, sagte Vincent, und dann musste er einfach danach fragen: »Aber Sie haben ihn doch schon eingetragen? Im Computer, meine ich.«
»Was man in einen Computer einträgt, kann man auch wieder löschen«, erwiderte sie. Sie seufzte. »Ich weiß nicht, warum ich das mache. Irgendwie erinnern Sie mich an meinen Sohn. Bloß ist der erst anderthalb. Na ja. Sorgen Sie dafür, dass ich es nicht bereue.«
»Er wird da liegen bleiben«, versprach Vincent.
Aber in dieser ersten Nacht behielt er den Ball in der Hand. Er träumte, dass er den Baseball immer wieder in große Wahlurnen warf, drei Meter hoch und aus einem schwarz glänzenden Material. Es machte dumpfe Geräusche, wenn der Ball innen aufschlug, so, als seien sie völlig leer.
***
Welche Regeln in diesem Gefängnis galten, lernte Vincent rasch.
Morgens weckte ihn ein durchdringender Summton, den er hundertfach aus den Tiefen des Gebäudes widerhallen hörte, aus den anderen Zellen. Es war noch dunkel um diese Zeit, die sich ziemlich früh anfühlte, und irgendwann sagte ihm jemand, es sei fünf Uhr dreißig.
Nach dem Wecken hatten sie zehn Minuten Zeit für die Morgentoilette. Dann ertönte ein zweiter, angenehmerer Ton, die Zellentüren öffneten sich automatisch, und es ging zum Frühstück in den Speisesaal.
Das hatte Vincent schon in Filmen gesehen. Da hatte sich das alles regelmäßig in düsteren, verfallenden Bauten abgespielt, in denen sadistische Wärter herumschrien und Gittertüren grundsätzlich so laut wie möglich zuschlugen.
Im Winston Smith Correction Center hingegen bewegte man sich inmitten Hunderter ebenfalls in blaue Overalls gekleideter Männer ruhig und gelassen durch lichtdurchflutete Räume. Niemand schrie, und Türen öffneten sich mit sanftem Scharren. Wenn eine Lautsprecherdurchsage kam, klang sie eher wie die Bekanntgabe einer Gleisänderung am Bahnhof. Wachbeamte waren permanent anwesend, aber sie fielen kaum auf. Niemand schwang Schlagstöcke oder martialische Reden.
Weil das alles nicht nötig war. Auf eine schwer zu fassende Weise wusste man trotzdem,
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