Ein König für Deutschland
nichts ist … Es geht letzten Endes um Unterschriften, oder? Unterschriften unter Mitgliedsanträge?«
»Vergessen Sie die Idee, dass Sie die fälschen können. Es müssen wirkliche Personen dahinterstehen. Der Bundeswahlleiter kann das nachprüfen, und in unserem Fall wird er das bestimmt tun.«
»Soll er.« Alex grinste von einem Ohr zum anderen. »Alles, was ich zu tun brauche, ist, ein Rundschreiben an alle Leute in meiner Kundenkartei zu schicken. Wir definieren das einfach als neues Spiel. Wer mitmachen will, muss einen Parteiantrag unterschreiben.«
Simon wunderte sich. »Und das tun die dann?«
»Klar. Das läuft ständig so.« Alex lachte auf. »Wenn ich sage, dass die Zahl der Mitspieler limitiert ist, geht es noch schneller. Dann haben wir die vierhundert Anträge binnen einer halben Woche zusammen. Garantiert.«
Simon sah auf seine Unterlagen hinab, überflog grübelnd die Paragrafen, Regeln, Ausführungsvorschriften, sah wieder hoch. »Ja. Das könnte funktionieren. Tatsächlich.«
»Dann machen wir es so. Am besten setzen wir noch heute so einen Antrag auf, der kann morgen gleich raus.«
Simon versuchte, sich darüber klar zu werden, was für ein Gefühl diese unerwartete Wendung in ihm auslöste. Er hätte erleichtert sein müssen, dass sich so schnell und einfach eine Lösung für ein Problem gefunden hatte, das ihm unüberwindlich vorgekommen war. Umso mehr, als er ja auch im Interesse seines Sohnes wollte, dass das Projekt glückte. Doch aus irgendeinemGrund war ihm, als habe man ihm mit einem Ruck den Boden unter den Füßen weggezogen. Als sei nun etwas in Bewegung geraten, das er nicht mehr unter Kontrolle hatte.
»Ist das nicht ein bisschen heikel?«, meinte er an Alex gewandt. »So mit Ihren … Kunden? Teilnehmern? So mit diesen Leuten umzugehen? Ich meine, irgendwann können die vielleicht gar nicht mehr zwischen Realität und Spiel unterscheiden!«
Alex lächelte philosophisch. »Sind Sie sicher, dass es da überhaupt einen Unterschied gibt ?«
***
War das nun Spiel, oder war es Realität? Das fragte sich Simon ein paar Tage später, als er in seiner Küche über der Post saß, den Mitgliedsantrag mit der eingestempelten Nummer 1 vor sich. Er wusste es auch nicht mehr.
Sollte er das wirklich unterschreiben? Er verstand schon, die jungen Leute wollten ihm damit eine Ehre erweisen, aber im Grunde wäre es ihm lieber gewesen, nur Berater in dieser Angelegenheit zu bleiben.
Lila hatte wieder angerufen. Vincent sei wegen des Autodiebstahls zu zweiundzwanzig Monaten Haft verurteilt worden, und nach Stand der Dinge würde er den größten Teil davon auch tatsächlich absitzen müssen. Und nein, er könne nichts tun, sie habe ihm nur Bescheid sagen wollen.
Es war seltsam gewesen, ihre Stimme wiederzuhören. Eine Stimme aus seiner Vergangenheit. Unwirklich.
Und nun saß er hier, diesen echt aussehenden Antrag auf Mitgliedschaft in einer unechten Partei vor sich, und dachte darüber nach, dass er Vincent noch nie im Leben gesehen hatte. Alles, was er hatte, waren Fotos, Karten, Briefe, Telefonate. Dinge, wie sie Alex künstlich produzierte, wenn er seinen Spielen den Kitzel des Echten verleihen wollte.
Im Grunde glaubte er auch nur, dass alles so war, wie man ihm gesagt hatte. Aber wissen … wissen tat er es nicht. Es mochte genauso gut nur ein Spiel sein, das seit achtzehn Jahren lief.
Simon seufzte. Dann holte er einen Kugelschreiber aus der Küchenschublade, nahm den Antrag, füllte ihn aus, unterschrieb und steckte ihn in den beiliegenden Briefumschlag.
57 »Ökolopoly, ein kybernetisches Umweltspiel« ist ein von Frederic Vester entwickeltes Spiel, das zuerst 1980 in einer auszufaltenden Beilage der Zeitschrift »Natur« erschien, vier Jahre später als Brettspiel. Heute ist es auch als Computerspiel erhältlich.
Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Ökolopoly.
58 http://de.wikipedia.org/wiki/Frederic_Vester
59 http://de.wikipedia.org/wiki/Das_Schwarze_Auge
60 http://de.wikipedia.org/wiki/Dungeons_%26_Dragons
61 Der genaue Wortlaut des Artikels 79 GG, Absatz 3 ist: »Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.«
62 »Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an
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