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Ein König für Deutschland

Ein König für Deutschland

Titel: Ein König für Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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gar? Simon wusste es nicht, und er saß mehr als einen Abend einfach nur da, blickte aus dem Fenster, während die Sonne unterging, und spürte der Wehmut, ja, der Trauer nach, die er empfand, wenn er auf sein Leben zurückblickte.
    Ein seltsamer Gedanke ging ihm dabei nicht aus dem Kopf:Es hatte ihn, wenn er sich während seines Studiums oder auch später mit Herrscherhäusern und überhaupt dem Adel beschäftigt hatte, immer befremdet, wie viel Bedeutung in diesen Kreisen der Abstammung beigemessen wurde. Die entsprechenden Nachschlagewerke 69 beschäftigten sich praktisch mit nichts anderem als damit, wer wessen Sohn oder Tochter war, und den Hausverfassungen 70 des Hochadels kam es hinsichtlich möglicher Ehepartner weder auf Charaktereigenschaften noch auf gesundheitliche Aspekte an, sondern einzig und allein auf ebenbürtige Abstammung.
    Diese Weltsicht war Simon immer ausgesprochen verschroben vorgekommen, an Besessenheit grenzend – doch nun begann er sich zu fragen, ob sich darin bei aller Skurrilität nicht etwas erhalten hatte, das in der heutigen Zeit, die so viel Wert auf Individualität legte, in Vergessenheit geraten war: Nämlich dass die Fortpflanzung – die Weitergabe des Lebens und der eigenen Erbanlagen also – der elementarste Aspekt des menschlichen Daseins war und immer bleiben würde.
    ***
    Vincent tat seine Arbeit, die Tage vergingen, und auch, als Dr. Cramer meinte, es sei an der Zeit, mal ein bisschen Pause zu machen, war das in Ordnung.
    Er würde ja nicht für immer im Gefängnis sein. Es würde vorübergehen. Manchmal dachte er schon darüber nach, was er danach machen wollte.
    Seine Mutter kam an fast jedem Besuchstag, und eines Tages kam sie nicht allein, sondern zusammen mit Bruce.
    »Was ist denn jetzt los?«, wollte Vincent wissen.
    Bruce grinste nur, ein vielsagendes Grinsen. Dann legte er den Arm um Lila, die ein bisschen verschämt den Kopf einzog, eine winzige Bewegung nur, aber sie entging Vincent nicht.
    Zum ersten Mal, seit er denken konnte, wirkte seine Mutter ruhig. So, als wäre sie bis jetzt gerannt, ihr ganzes Leben lang.
    Oder geflüchtet.
    »Wie geht’s dir?«, fragte sie.
    »Gut«, sagte Vincent. Er überlegte, ob man das so sagen konnte. Er sah seine Mutter an. Sie hatte viel falsch gemacht, das konnte man durchaus sagen. Aber sie liebte ihn, er wusste es. Sie hatte ihn immer geliebt. Und er liebte sie. »Doch, ja«, sagte er. »Gut.«
    ***
    Eines Tages kam ein Brief vom Büro des Bundeswahlleiters: Als zur Wahl zugelassene Partei stehe der VWM kostenlose Sendezeit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu. Um von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, sei mindestens ein Wahlwerbespot zusammen mit dem ausgefüllten beiliegenden Formblatt einzureichen. Über Stichtage, Adressen und zu verwendende Datenträger informiere das beigefügte Merkblatt.
    Alex blätterte die Papiere einmal durch und gab sie dann Root. »Mach du das.« Er war in Gedanken völlig bei dem Mongolei-Projekt, das endlich spruchreif zu werden schien. Interessenten an dem geplanten mehrwöchigen Nomadenspiel hatte er schon, jede Menge, auch jemanden vor Ort, der bereit war, ihm Jurten und Pferde zu vermieten. Inzwischen sah es sogar so aus, als ob die Regierung der Mongolei das Vorhaben genehmigen würde. Nur sicher war es eben noch nicht, und so lange brachte er es nicht über sich, an etwas anderes zu denken.
    Root studierte die Unterlagen unwillig. »Und was soll ich da machen?«
    »Na, einen Wahlwerbespot. Monarchie und so. Lass dir halt was einfallen.«
    »Okay«, sagte Root, stopfte die Papiere in seine aus allen Nähten platzende Laptop-Tasche und vergaß das Ganze.
    Einige Zeit später kam ein weiterer Brief vom Bundeswahlleiter, in dem unter anderem an die rechtzeitige Abgabe der Wahlwerbespots erinnert wurde.
    »Hast du das eigentlich erledigt?«, fragte Alex.
    »Klar«, sagte Root wie aus der Pistole geschossen, weil er sich nicht anmerken lassen wollte, dass es nicht stimmte. »Hab denen eine DVD geschickt, schon längst.«
    »Okay.« Alex wog das Schreiben in seiner Hand, schien zu überlegen, wohin er es tun sollte. »Kann ich mal sehen, was du da eigentlich gemacht hast?«
    »Kein Problem«, sagte Root und klappte seinen Laptop auf. Dann schüttelte er den Kopf. »Ach so, nein. Ich hab das Disk-Image ausgelagert. War zu groß. Ich kann’s morgen mitbringen, wenn du willst.«
    »Ja, mach mal«, sagte Alex. Er schob den Brief in seine »Zu erledigen«-Mappe, die vor Papier

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