Ein König für Deutschland
feuchte Augen. »Ich soll dir von deinem Vater ausrichten, dass du so schnell wie möglich nach Europa kommen sollst. Es hat irgendwie mit einer CD zu tun, die du ihm mal geschickt hast, und ich soll dir sagen, dass er … Warte … Er muss offenlegen, dass du in die Sache verwickelt bist und dass du dann nicht mehr in den USA sein solltest. Kannst du damit was anfangen?«
Vincent zögerte. »Ich fürchte, ich bin nicht so richtig auf dem Laufenden.«
Bruce hatte die aktuelle Ausgabe des Philadelphia Inquirer dabei, auf deren Titelseite es Nachrichten aus dem Ausland nur höchst selten schafften. Doch »Deutschland kehrt zurück zur Monarchie« war sogar die Schlagzeile des Tages.
Vincent überflog den Text, las die Fortsetzung weiter hinten. Als er auf den Namen der siegreichen Partei stieß – VWM – dämmerte ihm, was los war.
»Verstehe«, sagte er und reichte Bruce das Blatt zurück.
»Du verstehst?«, meinte der. »Großartig. Ich wollte, ich könnte dasselbe von mir sagen. Nein«, wehrte er ab, »erklär’s mir nicht. Ich glaube, es ist besser, ich bleibe unwissend.« Er zog eine Plastikmappe mit dem Emblem einer Fluggesellschaft aus dem Mantel. »Damit du den Ratschlag deines Vater befolgen kannst, habe ich mir erlaubt, dir ein Ticket zu besorgen. Es ist einStandardticket, du kannst fliegen, wann du willst, aber vielleicht solltest du nicht allzu lange damit warten.«
Vincent nahm die Mappe entgegen, schlug sie auf und atmete überrascht ein, als er die vielen Geldscheine sah, die außerdem darin steckten.
»Ein kleines Startkapital«, meinte Bruce. »Falls du Prinz von Deutschland wirst, kannst du es mir ja zurückzahlen.«
»Prinz von … was? « Vielleicht verstand er ja doch nicht so viel, wie er glaubte.
Bruce schlug den Mantelkragen hoch. Ein plötzlich aufkommender kalter Wind jagte trockenes Laub vor sich her. »Wenn dein Vater König von Deutschland wird, könnte es sein, dass du Kronprinz wirst. Zwar bist du unehelicher Abstammung – ein Bastard , wie es in alten Zeiten hieß –, aber dafür sein einziges Kind. Und er ist in der glücklichen Situation, sich die neue deutsche Verfassung quasi auf den Leib schneidern lassen zu können. Also – es ist noch nicht spruchreif, aber durchaus im Bereich des Möglichen.«
»Prinz von Deutschland«, wiederholte Vincent. Klang nicht schlecht. Fast ein bisschen wie Weltherrscher .
»Aber« – Bruce hob dozierend den Zeigefinger – »auch dazu musst du nach Europa. Als dein Anwalt muss ich dich darauf hinweisen, dass du als amerikanischer Staatsbürger nicht berechtigt bist, ausländische Adelstitel zu tragen, jedenfalls nicht auf amerikanischem Territorium.«
Vincent überlegte. Schließlich steckte er die Mappe ein, hob seine Tasche wieder vom Boden auf und sagte: »Okay. Vielleicht ist es tatsächlich am besten, ihr bringt mich gleich zum Flughafen.«
Worauf seine Mutter in Tränen ausbrach.
Bruce legte den Arm um sie. »Er wird nicht aus der Welt verschwinden«, redete er ihr zu, als wäre sie ein trostbedürftiges Kind. »Wir besuchen ihn. Du bist noch nie aus Pennsylvania rausgekommen; es wird sowieso höchste Zeit, dass sich das ändert.«
So fuhren sie ihn zum Flughafen. Wie meistens, waren auch an diesem Montagmorgen alle Parkplätze am PhiladelphiaInternational Airport belegt, und auf den Zufahrten vor den Abflughallen staute sich der Verkehr.
Vincent griff nach seiner Tasche. »Es ist mir eh lieber, ihr kommt nicht mit rein«, sagte er.
Der Abschied war noch einmal tränenreich und zog sich hin, bis sich die Schlange vor dem Wagen lichtete und die Fahrzeuge dahinter zu hupen anfingen. Vincent trat auf den Randstreifen, winkte den beiden nach, bis sie außer Sicht waren, dann marschierte er durch die nächste Drehtür ins Terminal und direkt zum nächsten Ticketschalter.
»Den nächsten Flug nach Orlando, Florida, bitte«, sagte er und holte die Mappe, die Bruce ihm gegeben hatte, aus der Jacke. »Ich zahle bar.«
***
Der Wahlprüfungsausschuss, dessen mündliche Verhandlungen wie vorgeschrieben öffentlich stattfanden, stand im Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit wie schon lange kein Ereignis in Deutschland mehr.
Entsprechend bemühten sich Politiker aller Couleur, vor dieser Bühne in Erscheinung zu treten. »Das Wahlergebnis weicht krass von allem ab, was zu erwarten war«, wiederholte ein Parteivorsitzender das, was er schon am Wahlabend gesagt hatte, vor jeder Kamera, die auf ihn gerichtet wurde. »Da kann etwas
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