Ein Königreich für einen Kuss!
Sicherheitsvorkehrungen sprechen. Vielleicht konnte er auch den „Tanten“ ein paar Richtlinien mit auf den Weg geben.
„Komm, Nicky, ich habe Cheerios.“ Sie streckte die Hand aus. Doch Nicky sah sie nur an, schüttelte den Kopf und wandte sich wieder dem hübschen Boot zu. „Na los, Schätzchen, nach dem Frühstück lassen wir das Boot wieder schwimmen.“
„Nein … Nicky … Boot … pielen.“
Verblüfft sah sie ihn an. Das war ja ein richtiger Satz. „Das kannst du auch. Aber erst ein paar Cheerios …“ Dabei sah sie die beiden Damen Hilfe suchend an.
„Machen Sie sich keine Sorgen, Ms Greco. Er hat gerade zwei Kirschkuchen gegessen.“ Die kleinere der beiden Damen sprach ein fehlerloses, fast akzentfreies Englisch. „Wir können auf ihn aufpassen, während Sie frühstücken. Und auch sonst, wenn Sie etwas vorhaben.“
Kirschkuchen? Am frühen Morgen? Aber warum nicht. Immerhin hatte er etwas gegessen. „Das ist sehr nett. Aber wird es Ihnen auch nicht zu viel?“
„Keineswegs. Ich habe selbst acht Kinder großgezogen, und es macht mir Freude, mit dem Kleinen zusammen zu sein. Frida geht es genauso. Und wenn Lilli von ihrem Arzttermin zurück ist, wird sie auch nichts lieber tun.“ Zärtlich lächelte Mari Nicky an. „Er ist ein so lieber Junge.“
„Ja. Und achten Sie bitte darauf, dass er nicht ins Wasser fällt“, konnte Stella sich dann doch nicht verkneifen zu sagen.
„Selbstverständlich.“ Auch Frida sprach ein ausgezeichnetes Englisch. Inzwischen hatte Mari sich zu Nicky hinuntergebeugt und sagte etwas auf Katalanisch zu ihm. „Vasco hat uns erzählt, dass Sie alte Bücher restaurieren“, fuhr Frida fort. „Das ist wunderbar, hier gibt es viel für Sie zu tun. Ich war früher Professorin für mittelalterliche Literatur an der Universität von Barcelona und weiß, was für Schätze Sie in unserer Bibliothek finden werden.“
„Ja“, stieß Stella leise hervor, rot vor Verlegenheit. Sie hatte die beiden vollkommen falsch eingeschätzt, hatte geglaubt, die „Tanten“ seien unverheiratete alte Jungfern, die am Hof quasi nur geduldet wurden. Und nun stellte sich heraus, dass beide sehr gebildet waren. „Ich war gestern kurz in der Bibliothek und sehr beeindruckt. Vielleicht sollte ich mich dort gleich mal genauer umsehen. Bis später dann.“ Sie gab Nicky einen Kuss auf die Stirn und ließ ihn in der Obhut der beiden grauhaarigen alten Damen. Ganz bestimmt war Nicky hier genauso gut aufgehoben wie in dem Universitätskindergarten.
Den Rest des Tages verbrachte sie in der Bibliothek. Ehrfürchtig strich sie über die alten Lederrücken und nahm hin und wieder vorsichtig einen Band heraus, wobei sie feststellte, dass einige Folianten noch aus der Zeit Karls des Großen stammten. Auf dem Tisch hatte Vasco bereits die für die Restaurierung notwendigen Werkzeuge ausbreiten lassen, wobei er auch an Muster verschiedenster Ledersorten und an Bögen von Blattgold gedacht hatte – an alles, was Stella zur Restaurierung benötigen würde.
Schon die alten Bücher zu berühren war ein Erlebnis. Einiges konnte sie lesen, zumindest andeutungsweise, denn sie sprach Spanisch und Französisch und hatte mal Latein und Italienisch in der Schule gehabt. Als sie auf Sammlungen von Märchen aus Montmajor und Legenden stieß, die mit Vascos Familiengeschichte zu tun hatten, nahm sie sich vor, ihn darauf aufmerksam zu machen. Was sie besonders interessierte, war ein Tagebuch eines jungen Königs aus dem Jahr 1470. Allerdings konnte sie auch da nur Bruchstücke verstehen, weil es in Altspanisch geschrieben war. Vielleicht war Vasco damit vertrauter.
Aber er ließ sich den ganzen Nachmittag über nicht blicken. Auch zum Abendessen erschien er nicht, und sie kam sich in ihrem aquamarinblauen langen Kleid reichlich albern vor. Allein saß sie in dem riesigen Speisesaal, und während sich zwei Diener um sie kümmerten, wünschte sie, sie hätte gemütlich mit Nicky in seinem Zimmer Rührei und Toast gegessen. Jetzt lag er bereits im Bett, gut bewacht von einem Mädchen aus dem nächsten Dorf.
Leicht verärgert starrte sie auf den leeren Stuhl. Wo war Vasco? Natürlich ging sie das eigentlich nichts an, denn er war zu nichts verpflichtet. Selbst wenn er mit irgendeiner anderen Frau zum Essen aus war, sollte ihr das egal sein. Sie nahm einen kräftigen Schluck Wein. Aber irgendwie fand sie es nicht in Ordnung, dass er mit anderen Frauen ausging, während Nicky und sie seine Gäste waren. Dazu
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