Ein koestliches Spiel
Stufen zu ihrem Schlafzimmer empor. Noch nicht einmal der größte Optimist könnte meinen, dass die kleine Szene auf der Straße das Wiedersehen eines lange getrennten Liebespaares war, mahnte ihre innere Stimme sie leise. Aber sie trug immer noch seinen Ring an der Kette um ihren Hals -nach dem Zwischenfall mit dem Straßenräuber hatte sie sie wieder angelegt. Und er war offenkundig der Ansicht, er habe das recht, sie wegen ihres Verhaltens zu tadeln, wie es einem Verlobten zustehen würde.
Nach so vielen Jahren der Trennung mussten sie beide sich geändert, sich in unterschiedliche Richtungen weiterentwickelt haben. Er war selbstbewusster geworden. Wie sie auch. Das war nur normal.
Aber was erwartete Phillip von ihr? Hatte er seinen Eltern von der Verlobung erzählt? War sie für ihn immer noch „der Traum, der mich weitermachen lässt in diesem Höllenloch auf Erden“, wie er es ihr einmal geschrieben hatte? Es schien ihr nicht so, aber der Schein konnte trügen. Er hatte nicht ausgesehen, als sei er von seinen Gefühlen überwältigt, aber er konnte sie schließlich auch nicht auf offener Straße umarmen. Es war kein Wunder, wenn eine gewisse Verlegenheit bei ihrem ersten Treffen spürbar war. Und wenn er sie immer noch zur Frau wollte, wie würde sie damit umgehen?
Ihr Magen hob sich angespannt.
Um zwei Uhr würden sie ungestört und in Ruhe alles besprechen, versuchte sie sich zu beruhigen. Sie starrte in den Spiegel, brachte geistesabwesend ihre Frisur in Ordnung.
Wenn sie an den ordentlich gekleideten Fremden dachte, den sie auf der Straße getroffen hatte, empfand sie nichts. Sie fühlte sich nicht verlobt mit ihm. Sie fühlte sich ihm in keiner Weise verbunden. Und doch hatten sie zusammen ein Kind gezeugt.
Gideon hatte die vergangene Stunde damit verbracht, vor dem Fenster im oberen Stock auf und ab zu laufen und auf die Rückkehr von Prudence und ihren Schwestern zu warten. Bei seinem Besuch am Vormittag hatte er zu seinem Missfallen erfahren müssen, dass die jungen Damen alle einkaufen gegangen waren. Wieder. Er war in sein Haus zurückgekehrt und wartete nun. So geduldig, wie er nur konnte. Was nicht sonderlich geduldig war.
Er hatte seinen Entschluss gefasst und konnte es nicht erwarten, mit ihr zu reden. Er würde Prudence unverzüglich heiraten und ihr Kind zu sich holen. Das Kind würde bei ihnen leben und als sein eigenes Kind adoptiert werden. Das würde natürlich viel Gerede geben, aber er hatte sich alles genauestens überlegt. Wenn der Klatsch zu schlimm würde, würde er einfach das Gerücht in die Welt setzen, dass es sein eigenes Kind war, sodass kein Schatten auf Prudence fiele. Die vornehme Gesellschaft würde vermutlich sogar ihren Edelmut loben, dass sie sein unehelich geborenes Kind ohne viel Aufhebens bei sich aufnahm.
Nicht, dass er auch nur einen Deut darum gab, was die Welt dachte, wenn nur die schreckliche Trauer für immer aus ihren Augen gebannt würde.
Schließlich sah er die Merridew-Mädchen die Straße entlangkommen, tief ins Gespräch vertieft. Nur Prudence nicht, wie ihm sogleich auffiel. Sie sprach gar nicht. Es war schwierig unter ihrer Hutkrempe zu erkennen, aber er hatte den Eindruck, als wäre sie blass, ernst und besorgt. Bald schon würde er die Rosen wieder auf ihren Wangen erblühen lassen.
Gideon lief die Treppe hinunter, eilte nach nebenan und sandte eine Nachricht nach oben, dass er mit Miss Prudence sprechen wolle. Vor dem Empfangssalon ging er auf und ab und wartete, dass sie herunterkam.
Prudence zögerte, die Hand auf der Klinke. Sie fühlte sich wie ausgelaugt. Erst das Treffen mit Phillip auf der Straße, und jetzt dies. Es war ihr gelungen, ihm mehrere Tage lang aus dem Weg zu gehen, aber jetzt überstürzten sich die Ereignisse. Sie musste mit Lord Carradice fertig werden, ehe Phillip eintraf.
Seine Nachricht sagte „ungestört“. Was bedeutete das? Etwas, was er nicht öffentlich sagen wollte oder in Anwesenheit einer Anstandsdame? Sie hoffte, er würde nicht das Kind erwähnen. Ein wahrer Gentleman würde es einfach nicht ansprechen. Er war nicht wie Großvater, das war er einfach nicht. Er mochte ihre Unmoral nicht billigen, aber er war freundlich und gut; er würde sie nicht verdammen.
Ihr war unwohl. Er musste einsehen, dass sie erst mit Phillip sprechen musste, mit ihm alles klären, ehe sie an etwas anderes auch nur denken konnte. Danach aber ...
In der Halle schlug die Uhr. Halb zwei. Phillip würde in einer halben Stunde
Weitere Kostenlose Bücher