Ein koestliches Spiel
entführen und die halbe Dienerschaft noch dazu. Ich hoffe, Sie können ihn dahingehend beruhigen.“
„Natürlich. Niemand wird hier entführt“, versicherte Prudence. „Wir sind nur in einer dringenden Familienangelegenheit abberufen worden. Ich habe einen Brief für meinen Großonkel auf dem Kaminsims in seinem Arbeitszimmer zurückgelassen. Bitte sorgen Sie dafür, dass er ihn bei seiner Rückkehr erhält. Ich schreibe wieder, wenn wir unser Ziel erreicht haben.“
„Und wo liegt dieses Ziel, Miss?“, erkundigte sich Niblett.
„Oh, das steht alles in dem Brief“, erwiderte sie vage. Selbst wenn sie sich für ein Ziel entschieden hätte, würde sie es Niblett nicht verraten. Er gehörte zu der Sorte Butler, die Klatsch und Tratsch liebte und ihrem Großvater alles verraten würde, sobald eine Goldmünze oder vielleicht auch mehr ins Spiel kam.
„Oh, Sie können es Niblett ruhig sagen, meine Liebe.“ Prudence versuchte, Lord Carradice mit einem Blick zu verstehen zu geben, was sie davon hielt, aber er schien nichts davon zu merken.
„Mein Cousin und ich haben alles bis ins Detail geplant. Wir werden erst zu meiner Unterkunft fahren, denn dort muss ich etwas abgeben. Dann brechen wir zu meinem Landsitz auf. Meinem Landsitz in Derbyshire. Und von da aus nach Norden, zum Besitz meines Cousins Dinstable, im äußersten Teil Schottlands.“ Prudence stöhnte.
„Oh, Niblett würde uns nie verraten, meine Liebe“, versicherte ihr Lord Carradice. „Nicht wahr, Niblett?“ Damit schob er eine zusammengefaltete Banknote in die Hand des Butlers.
Niblett deutete mit einer majestätischen, leicht eingerostet wirkenden Verbeugung seine Zustimmung an und steckte den Geldschein beiläufig ein.
Prudence war entsetzt. „Ich wünschte, Sie hätten das nicht getan“, sagte sie, als Lord Carradice ihr beim Einsteigen in den hochrädrigen Phaeton half. „Niblett kann man kein Geheimnis anvertrauen. Sobald ihm jemand auch nur eine kleine Summe bietet, wird er alles verraten.“
„Ich bin sicher, dass wir uns darauf verlassen können, dass Niblett genau das tut, was wir wollen.“ Lord Carradice fasste Prudences Hand in einem festen, beschwichtigenden Griff. „Vertrauen Sie mir, ich bin ein ausgezeichneter Menschenkenner.“ Prudence schien nicht wirklich überzeugt.
Lord Carradice zog sich seine Kutschierhandschuhe an und nahm die Zügel. Er nickte seinem Cousin zu, der es erwiderte, und die große Kutsche setzte sich rumpelnd und mit heftig winkenden Insassen in Bewegung. Lord Carradice gab seinem Pferdeknecht ein Zeichen, worauf der die Pferde losließ und hinten auf den Phaeton aufsprang, als er losfuhr.
Hinter ihnen schloss ein hämisch grinsender Niblett die Eingangstür.
12. Kapitel
In dem Moment, da meine Augen dich erblickten, flog mein Herz dir zu.
William Shakespeare
Als die Kutschenräder über das Kopfsteinpflaster ratterten, legte Prudence unbewusst die Hand auf die Stelle, wo Phillips Verlobungsring schwer und hart über ihrem Herzen hing.
Es müsste Phillip sein, der ihr jetzt half, nicht Lord Carradice.
Und es müsste Phillip sein, der ihre Träume in der Nacht und ihre Gedanken bei Tag beherrschte ... nicht Lord Carradice.
Gaslaternen beleuchteten sein Profil immer wieder kurz, während er den Phaeton durch das Gewirr enger Gassen lenkte. Sie saß aufrecht und mit Abstand neben ihm, konnte aber nicht verhindern, dass sie doch immer wieder, wenn der hochrädrige Wagen schwankte oder schaukelte, gegen seine Schulter oder seinen Oberschenkel stieß. Sie versuchte die beunruhigenden Gefühle zu ignorieren, die jeder Kontakt in ihr auslöste, versuchte ihr Rückgrat ganz gerade zu halten, aber es war schwer. Was sie wirklich wollte, war, sich an seinen Arm zu klammern und Kraft aus seiner Stärke zu schöpfen.
Nachdem sie die Hauptverkehrsadern hinter sich gelassen hatten, lagen die Straßen unheimlich still vor ihnen. Obwohl sie zu dieser Stunde bei Weitem nicht die Einzigen unterwegs waren, so waren sie doch die Einzigen in einer offenen Kutsche. Sie erschauerte, obwohl die Nacht gar nicht so kalt war.
Sie lehnte sich ein wenig zurück, um Lord Carradice besser sehen zu können, und betrachtete ihn heimlich, von der Richtung, die ihre Gedanken einschlugen, beunruhigt. In den vergangenen zwei Wochen hatte sie ihr Bestes gegeben, ihn aus ihrem Geist und ihrem Herzen zu vertreiben, hatte sich immer wieder gesagt, dass er unzuverlässig und leichtfertig sei. Und dass sie närrisch, treulos
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