Ein Konkurrent zum Kuessen
erinnerte. Mit einem Schlag wurde ihr bewusst, was sie vorhatte: Sie würde die Freunde ihrer Mutter belügen – Menschen, die sie respektierten und darauf vertrauten, dass sie dem Andenken ihrer Mutter gerecht wurde. Tränen traten ihr in die Augen.
„Hey.“ Mit einem Finger hob Jax sanft ihr Kinn an. „Ich habe das mal in einem Film gesehen und dachte, du würdest es mögen – und nicht darüber weinen. Du bist doch bestimmt romantisch.“
„Wie kommst du denn darauf?“, gab Ruby keck zurück, froh über die Ablenkung.
Er zeigte auf ihr Kleid. „Weil du schöne Kleider und schönen Schmuck magst. Und typische Frauenfilme. Ich habe den Riesenstapel DVDs selbst gesehen, in deinem Apartment. Aber du warst zu sehr damit beschäftigt, mich bei lebendigem Leib zu häuten, und hast es nicht bemerkt.“
Ruby musste lachte und spürte, wie ihre Traurigkeit nachließ. Sicher hätte ihre Mutter Verständnis dafür gehabt, dass sie anderen Menschen eine glückliche Ehe vorspielte, wenn es einem höheren Ziel diente.
Sie schnippte mit den Fingern. „Jetzt weiß ich, warum du abends immer so lange im Büro warst. Du hast auf Netflix meine Filmsammlung abgearbeitet. Dein Lieblingsfilm ist bestimmt der, wo sich die beiden im Internet kennenlernen und …“
„Eins hat sich durch die Heirat nicht geändert.“ Jax zog Ruby an sich. „Du redest immer noch zu viel.“
Und bevor sie etwas sagen konnte, küsste er sie, bis sie nicht mehr wusste, wer sie war und warum sie hier war. Erst eine ganze Weile später lösten sie sich voneinander. Jax’ Fliege saß schief, und die Satinschleife auf Rubys Schulter löste sich. Schwer atmend sahen sie einander an.
„Unten warten die Gäste auf uns“, keuchte Ruby mit klopfendem Herzen.
Jax drückte sie gegen die Tür und schob ihr eine Hand unter den Rock. „Dann lass sie warten.“
Auf der Schwelle blieb Jax wie angewurzelt stehen, erfüllt von einer Vorahnung. Ihm war eiskalt. Eben noch war er fest entschlossen gewesen, den Ballsaal zu betreten und allen zu zeigen, dass Jax Maroney wieder da war und sie sich damit abfinden mussten. Doch nun dachte er daran, dass Hunderte Augenpaare ihn voller Vorurteile betrachten würden.
„Du schaffst das.“ Ruby drückte seine Hand. Ihr Einfühlungsvermögen erschreckte ihn fast so sehr wie die wartenden Gäste.
Sosehr er auch auf Distanz zu gehen versuchte, er wurde immer wieder zu ihr hingezogen und wusste nicht warum. Er wollte nicht die Bewunderung in ihren Augen sehen wie vorhin, als er aus dem Badezimmer gekommen war. Auch ihre Tränen hatte er nicht sehen wollen, und vor allem wollte er nicht, dass sie Fragen stellte oder versuchte, ihn zu verstehen.
Jax wollte nicht fühlen – nichts. Warum ließ Ruby ihn nicht einfach in Ruhe?
Energisch schob er alle Gedanken an seinen Vater und seine Mutter beiseite, streckte sich, nahm Rubys Hand und sagte: „Geben wir die Vorstellung unseres Lebens.“
Und das taten sie. Während der folgenden Stunden zwang sich Jax, höflich zu lächeln, Hände zu schütteln und begeistert über alles und jeden zu reden, von Gartenpartys bis zum Spring Racing Carnival, einem jährlichen Pferderennen. Menschen, die ihn noch vor einigen Jahren geschnitten und bei der Präsentation von Seaborn’s ignoriert hatten, taten plötzlich so, als würden sie ihn mögen – und das nur wegen der Frau, die ihn begleitete.
Ruby wich ihm nicht eine Sekunde von der Seite. Die ganze Zeit über hielt sie seine Hand, hielt die Gespräche am Laufen und lenkte neugierige Frager mit ihrem Charme und ihrem Lächeln erfolgreich ab. Die Menschen lagen ihr zu Füßen – und Jax ebenfalls.
Mit dem schnellen Sex vor dem Hochzeitsempfang hatte er sich ablenken und sein schier unstillbares Verlangen nach ihr ein wenig mildern wollen. Doch als Ruby ihn jetzt anlächelte und den Arm um ihn legte, als wäre es das Natürlichste der Welt, fing er selbst an, das Märchen zu glauben. Und als sie zu „The way you look tonight“ tanzten, vergaß er beinah den wahren Grund für ihre Hochzeit.
„Du bist immer noch angespannt“, murmelte Ruby leise und legte ihm die Hand aufs Herz.
„Das wärst du sicher auch, wenn du von Piranhas umgeben wärst, die auf das kleinste Anzeichen von Schwäche warten.“
„Nein, ich glaube nicht an diesen ganzen Unsinn.“
„Du bist ja auch damit aufgewachsen und wirst akzeptiert.“
Ohne aus dem Takt zu kommen, lehnte sie sich ein wenig zurück und sah ihm in die Augen.
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