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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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frißt, die durch noch unbekannte Kanäle in die Baracken kommen. Er wollte uns die Wahrheit sagen. Deshalb mußte er sterben.«
    So ist es, dachte Polewoi. Genauso ist es. Poljakow hat unsere Hühner entdeckt und wollte das melden. Ein Verräter aber hat keine Lebensberechtigung, es ist ein uraltes Lagergesetz. Auch Rassim weiß das genau. Wäre er in unserer Lage, er würde nicht anders gehandelt haben.
    »Ich werde ihn obduzieren«, sagte Dshuban steif. »Weg mit ihm!« Er starrte Rassim fast mörderisch an. »Wann wollen Sie den Bericht?«
    »So schnell es Ihr Geist zuläßt«, antwortete Rassim anzüglich.
    »In einer Stunde …«
    »Ihnen wachsen ja Flügel, Dshuban Kasbekowitsch!«
    Dr. Owanessjan drehte sich brüsk um und ging davon. Rassim blickte ihm mit vorgewölbter Unterlippe nach, als wolle er ihn nach Lamaart bespucken. Dann, nachdem die Flurtür zugeschnappt war, drehte er sich um und nahm den Kampf mit der Tschakowskaja wieder auf. Da kam von draußen ein Melder ins Hospital. Er brachte einen Zettel mit und übergab ihn Rassim.
    »Aha!« sagte Rassul Sulejmanowitsch, nachdem er den Zettel gelesen hatte. »Der Tote heißt Matwej Kusmanowitsch Poljakow, kommt aus Nowgorod und war Straßenräuber.« Die vier Soldaten legten die Zeltplane wieder zusammen und schleppten die Leiche hinüber zur Chirurgie. Dort wartete Owanessjan in dem Raum, den er die ›Anatomie‹ nannte und wo er die Toten auf einer blanken Marmorplatte, die über drei Holzböcke gelegt war, sezierte. Er hatte seine Gummischürze umgebunden, dicke Gummihandschuhe übergestreift und trank Kognak aus der Flasche. Er trank ihn so hastig und wild, daß er nach jedem langen Schluck um Atem rang.
    »Als Straßenräuber könnte dieser Poljakow auch darin geübt gewesen sein, Hühner zu rauben«, sagte die Tschakowskaja ruhig. Sie sah, wie sich Jachjajew eine Papyrossi ansteckte, und streckte die Hand aus. Voll ungläubigen Staunens gab ihr Jachjajew eine Zigarette und reichte ihr sogar sein Feuerzeug. Sie sog dreimal hintereinander und blies dann den Rauch in einer dicken Wolke von sich. Es war der einzige sichtbare Beweis ihrer Nervosität.
    »Wo denn?« schrie Rassim unbeherrscht. »Wo konnte er die Hühner rauben? Wir bauen eine Pipeline, keinen Hühnerhof!«
    »Ist es überhaupt ein Hühnerknochen?« fragte die Tschakowskaja. Es war eine Frage, die einen Augenblick stumme Sprachlosigkeit erzeugte.
    Jachjajew fuhr sich nervös über die Nase. »Was sonst?« fragte er.
    »Eine Schweinerippe war's nicht!« brüllte Rassim.
    »Es kann der Knochen einer Ente sein, einer Wildgans, eines Flughuhnes. Haben Sie so große zoologische Fähigkeiten, Rassul Sulejmanowitsch, daß Sie diese Knochen genau zu unterscheiden vermögen? Ich kann es nicht!«
    »Was ändert das?« rief Jachjajew verunsichert.
    »Wir leben zwischen Wald und Sumpf, Genossen.« Larissa Dawidowna sah alle der Reihe nach an. Als ihr Blick zu Abukow kam, bemerkte sie Begeisterung und tiefe Bewunderung in seinen Augen. Das machte sie unbegreiflich glücklich, sie spürte ein Wonnegefühl im Herzen. »Enten, Wildgänse und Flughühner aber leben auch in den Sümpfen. Man kann sie mit einfachen Schlingen fangen, wenn man geschickt ist. Wenn Poljakows Einsatzstelle im Sumpf lag …«
    »War sie nicht!« Rassim blickte auf seinen Zettel. »Poljakow arbeitete in der Schmiedewerkstatt. Da fliegen keine Wildenten herum. Überhaupt, was soll das, Genossin?«
    »Es verändert die Motive.« Sie sog wieder an ihrer Papyrossi. Dann warf sie die Zigarette weg und zertrat sie, dort, wo der Tote gelegen hatte. »Wenn Poljakow eine Ente oder was weiß ich gebraten hat, wurde er umgebracht, weil die anderen vor Hunger wahnsinnig wurden bei dem Anblick und dem Geruch des gebratenen Fleisches – und nicht, wie Sie denken, daß Poljakow andere, die ein Hühnchen brieten, verraten wollte. Das ändert vieles.«
    »Es ändert gar nichts!« brüllte Rassim und wurde wieder rot. Gegen die Tschakowskaja sah man immer schlecht aus; mit ihr zu diskutieren war Schwerstarbeit. »Ermordet bleibt ermordet. Und die Täter suche ich mir jetzt heraus!«
    »Es sind 1.200 Hungernde.«
    »Und sie werden morgen oder übermorgen oder in drei Tagen die Käfer von der Erde fressen oder die Moskitos einfangen und hinunterschlucken, wenn die Mörder sich nicht vor mir aufstellen und sagen: Hier sind wir!« Rassims dicker Kopf schnellte vor wie bei einem Büffel, der angreift. »Und auch Sie, Genossin Dr. Tschakowskaja, werden

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