Ein Kuss von dir
mehr so klein.
»Ich muss es Ihnen erklären und Ihnen meine Position erläutern. Außerdem werden Sie wissen wollen, was mit Ihrem Onkel geschehen ist. Onkel Brinkley, erinnern Sie sich an ihn?«
»Nein.« Eleanor hatte Lady Gertrudes Ehemann nie zu Gesicht bekommen. Er stand in dem schlechten Ruf, arrogant zu sein und den Weibern nachzustellen, und er hatte sich nicht einmal an Weihnachten dazu bequemt, der Familie einen Besuch abzustatten.
»Er ist tot.«
Verblüfft über den ungerührten Tonfall hielt Eleanor, die gerade dabei war, sich hinzusetzen, mitten in der Bewegung inne. »Das tut mir Leid«, sagte sie.
»Braucht es nicht. Er ist in Lady Bertelot-Stokes Bett erschossen worden, und zwar von Lord Bertelot-Stoke. Ich werde wohl nie herausfinden, warum Seine Lordschaft ausgerechnet an Brinkley Anstoß genommen hat, wo schon so viele andere Seiner Lordschaft Platz eingenommen hatten. Egal, Brinkley hat mich auf jeden Fall mittellos zurückgelassen. Schrecklich ist das, in Armut zu leben. Schlimmer als in Cornwall. Die letzten beiden Jahre habe ich vornehm in Not gelebt. Mr. Knights Angebot kam gerade noch rechtzeitig. Ich war kurz davor, mir -«, Lady Gertrude sah sich um, als fürchte sie, belauscht zu werden, »mir Arbeit zu suchen.«
Eleanor verbarg einen halb hysterischen Lachkrampf hinter einem Hustenanfall. »Gütiger Himmel, bewahre!«
»Genau, zumal ich nichts anderes kann, als sticken und Klatschgeschichten erzählen.«
Eleanor nahm ihre eigene Stickarbeit zur Hand und fixierte sie. Sticken war ihr Heilmittel gegen Sorgen, Langeweile und alle anderen Probleme. Immer wenn sie in der Klemme steckte, arbeitete sie an einem Blumenmuster, und bald tauchte wie von selbst eine Lösung auf.
Dass ihr gegenwärtiges Dilemma sich wie von selbst lösen würde, glaubte sie allerdings nicht.
Lady Gertrude fuhr fort: »Jedenfalls bezahlt Mr. Knight recht gut, er gibt mir ein Kleiderbudget, und dafür soll ich Ihrem Aufenthalt hier Würde verleihen.«
Ohne dass man die Eltern des Mädchens hinzugezogen hätte? Unmöglich! Eleanor nahm die Nadel zur Hand und sagte so freundlich wie möglich: »Entschuldigen Sie bitte, Lady Gertrude, aber verlobt oder nicht – dass Mr. Knight und ich in einem Haus zusammenleben, wird für Gerede sorgen.«
»Und ich werde es stoppen. Ich bin nicht ohne Einfluss, müssen Sie wissen. Mein Schlafzimmer liegt direkt neben Ihrem.« Lady Gertrude gestikulierte in Richtung einer Tür, die Eleanor noch gar nicht bemerkt hatte. »Unsere Zimmer haben eine Verbindungstür. Außerdem habe ich Remington dazu gebracht, ein Stockwerk nach oben zu ziehen. Bis zum Hochzeitstag, an dem er seine Sachen in die Suite des Hausherrn zurückbringen darf, ist er aus diesem Stockwerk verbannt. Ich nehme meine Pflichten sehr ernst. Sie sind absolut sicher.«
»Es freut mich zu hören, dass Sie ganz in der Nähe schlafen.« Eleanor freute sich wirklich, denn sie hegte keinerlei Zweifel, dass Mr. Knight anderenfalls versucht hätte, die Eheschließung auf höchst körperliche Art und Weise sicherzustellen. Der Mann war, all seinen eleganten Kleidern zum Trotz, primitiv bis auf die Knochen.
Lady Gertrude beugte sich vor und senkte die Stimme. »Obwohl ich Sie warnen muss, meine Liebe, ich glaube, Remington hat für sein Tun geheime Gründe, insbesondere, was Sie angeht.«
Lady Gertrude die eigenen Befürchtungen aussprechen zu hören jagte ihr einen Schauer über den Rücken. »Ich denke, da haben Sie Recht.«
»Außerdem sind seine Motive, wie ich fürchte, zwielichtig«, setzte Lady Gertrude gleichmütig hinzu.
Eleanor hätte auf die offenkundig zutreffende Beobachtung am liebsten sarkastisch reagiert, aber Lady Gertrude nickte so ernsthaft und wirkte so fürsorglich, dass Eleanor nur murmelte: »Ich werde mich in Acht nehmen.«
»Ich weiß, das werden Sie, Madeline. Sie waren von klein auf schon ein aufrichtiges, vernünftiges Mädchen. Sie haben die Besitztümer verwaltet und versucht, Ihren Vater vom Amoklaufen abzuhalten, und Sie werden, was Mr. Knight angeht, vernünftig bleiben. Ich bin überzeugt, das ist der richtige Weg, mit ihm umzugehen. Mit harter Hand und fester Gesinnung!«
»Ich bin der sehr festen Gesinnung, ihn nicht zu irgendwelchen gesellschaftlichen Ereignissen zu begleiten.« Denn sicher würde irgendjemand wissen, dass Eleanor nicht die Duchess war, trotz all der Jahre, die Madeline und sie außer Landes gewesen waren und trotz ihrer großen Ähnlichkeit. Auch wenn Eleanor
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